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„Vater der iranischen Atombombe“: Ein Attentat und viele Fragen

Begräbnis dess Leiters des iranischen Nuklearwaffenprogramms Mohsen Fakhrizadeh in Teheran
Begräbnis dess Leiters des iranischen Nuklearwaffenprogramms Mohsen Fakhrizadeh in Teheran (© Imago Images / ZUMA Wire)

Zehn Tage nach dem tödlichen Anschlag auf Mohsen Fakhrizadeh, dem Leiter des iranischen Nuklearwaffenprogramms, liegt Vieles immer noch im Dunklen. Wer steckt hinter dem Attentat? Wie geschah es wirklich? Wird sich der Iran rächen, und wenn ja, wie? Welche Auswirkungen wird ein Vergeltungsschlag haben? Und: Wieso hängt eine großes Plakat mit israelischer Fahne und der Aufschrift „Thank you Mossad“ ausgerechnet jetzt mitten in Teheran. Schlüssige Antworten auf all diese Fragen gibt es bislang noch nicht, dafür aber jede Menge Spekulation.

Amerikanischen und israelischen Geheimdienste haben Fakhrizadeh schon seit Längerem im Visier. Der Atomphysiker war nämlich nicht nur Befehlshaber der iranischen Revolutionsgarden, sondern auch Leiter des iranischen Atomwaffenprogramms (AMAD). Das gibt es zwar laut iranischen Angaben seit 2003 nicht mehr. Allerdings gilt es weltweit als offenes Geheimnis, dass das Programm – umgetauft – aber immer noch unter der Ägide Fakhrizadehs bis dato unbeirrt weiterläuft.

Teheran sucht, Gesicht zu wahren

Am 27. November wurde Fakhrizadeh unterwegs in einem Vorort Teherans getötet. Wie es geschah, scheint keiner so genau zu wissen. Die Söhne des Kernphysikers bestätigten in einem TV-Interview, ihr Vater sei von mehreren Attentätern erschossen worden. Augenzeugen berichten von einer Lastwagenexplosion, die offenbar als Ablenkung gedient habe, und von einigen bewaffneten Personen, die Feuer auf das Fahrzeug Fakhrizadehs eröffnet hätten.

Von offizieller, iranischer Seite wird allerdings ein ganz anderer Hergang kolportiert. Der Angriff sei, so heißt es, komplett ferngesteuert unter Verwendung eines intelligenten Satellitensystems, einer hochmodernen Gesichtserkennungstechnologie und weiterer AI-Komponenten durchgeführt worden. Experten bezweifeln die letztere Version, weil sie für die Attentäter viel zu aufwendig und zu riskant gewesen wäre.

Dass Teheran trotzdem zu dieser High-Tech-Variante steht, leuchtet ein. Schließlich ist die Tötung Fakhrizadehs nicht nur ein herber Schlag für die iranische Atombomben-Ambition. Die ungestörte Durchführung eines „herkömmlichen“ Attentats auf eine so „gesuchte“ Person mitten im eigenen Land würde dem Iran auch einen empfindlichen Imageschaden zufügen. Sie deutet auf signifikante Schwachstellen im lokalen Sicherheitssystem hin.

Den Israelis geht es ums Überleben

Wie das Attentat nun auch abgelaufen sein mag, die Angreifer haben ihr Ziel erreicht. Wer aber sind diese Angreifer? Beobachter tippen auf Mitglieder des israelischen Geheimdienstes Mossad. Zwar hüllt sich Israel dazu in Schweigen, allerdings ist klar, dass der jüdische Staat die Atompläne Irans mit allen Mitteln zu vereiteln sucht.

Den Israelis geht es ums Überleben. Schließlich liegt ihr Land in unmittelbare Reichweite der potenziellen iranischen Kernwaffe, und die Mullahs verabsäumen keine Gelegenheit ihre Absicht, Israel zu zerstören, kundzutun.

Verstiegene Konspirations-Theorien

Wird das Nuklearwaffenprogramm mit dem Tod Fakhrizadehs ein Ende nehmen oder sich zumindest erheblich verzögern? Wohl nicht. Der Kernphysiker dürfte sein Wissen geteilt haben, zumal ihm die Gefahr, in der er sich befand, durchaus klar sein hat müssen.

Was also war der Grund für den Anschlag. Böse Zungen behaupten, Israel habe versucht, „den Iran mit Fakhrizadehs Mord in den Krieg zu locken“. Yossi Melman, etwa, kommt, wie er schreibt, zu der „fast unvermeidlichen Schlussfolgerung“, dass Netanjahu und Trump gehofft hätten, Teheran werde Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA ergreifen, was Trump wiederum dazu veranlasst haben könnte, „dem Iran, den Krieg zu erklären.“ Mit diesem Plan hätten die beiden Staatsmänner dann auch noch Joe Biden ordentlich in Verlegenheit bringen wollen.

Allein, so der Journalist weiter, die iranischen Leader hätten die israelisch-amerikanische Konspiration durschaut und wären nicht in die Falle getappt. Wie verstiegen diese Theorie ist, wird klar, wenn man sich die Realität vor Augen führt. Israel und auch Amerika haben, gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wohl kaum Appetit auf Krieg.

Und sowohl Trump als auch Netanjahu haben alle Hände voll zu tun, ihr Land, trotz der einschneidenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise, auf Kurs zu halten. Bibi, der sich Hoffnungen auf eine Wiederwahl macht, wird auch sein Ansehen, als Premier der große Kriege immer mit Umsicht zu vermeiden wusste, nicht verspielen wollen.

Das iranische Atomwaffenprogramm läuft unbeirrt weiter

Nein, Israel will weder den Iran in einen Krieg ziehen noch Joe Biden blamieren. Vielmehr will man der Welt, ja und besonders auch dem gewählten US-Präsidenten, der mit einer Neuaufnahme des Iran-Deals, stark zu kokettieren scheint, das unablässige Fortschreiten des Atomwaffenprogramms im Iran abermals deutlich vor Augen führen.

Drohungen aus dem Iran

Bislang hat der Iran auf den Anschlag lediglich mit Drohungen reagiert. Esmail Ghaani, der Kommandant der Quds Brigade, prophezeit Israel einen baldigen Untergang, und Hossein Salami, der Chef der iranischen Revolutionsgarden, stellt dem jüdischen Staat Rache und schwere Strafen in Aussicht.

Die militärnahe Nachrichtenseite Tasnim, hingegen, wird konkreter. Sie vergleicht Israel mit einem tollwütigen Hund, dem man unbedingt bekämpfen muss und empfiehlt, ganz Israels mit Raketen zu beschießen. Zudem gäbe es auch andere Optionen, etwa „über die Präsenz der Islamischen Republik in Syrien und über ihren verlängerten Arm, der Hisbollah, im Libanon“.

Beobachter halten diese Optionen allerdings für weniger wahrscheinlich. Die Hisbollah kämpfe, so Jonathan Speyer in der Jerusalem Post, mit einer komplexen, politischen und wirtschaftlichen Situation. Die Ammoniumnitrat-Explosion im Hafen von Beirut im letzten August habe ihr zusätzlichen finanziellen Schaden zugefügt und die Bevölkerung gegen sie aufgebracht.Zudem würde jeder Hisbollah-Gewaltakt eine schwere israelische Vergeltung hervorrufen.

Auch bei einer möglichen Vergeltung von syrischer Seite meldet der Journalist Zweifel an. Der Iran würde die breitangelegte, strategische Infrastruktur, die er in Syrien aufgebaut hat, nicht für einen Vergeltungsschlag aufs Spiel setzten wollen. Zudem dürfte auch hier ein schwerer israelischer Gegenschlag folgen. Iran könnte aber auch einfach nur abwarten, bis Joe Biden im Amt ist und die Verhandlungen über das kontroverse Iran-Abkommen wieder aufnimmt.

Israel verschärft Sicherheitsmaßnahmen im Ausland

Israel selbst scheint denn auch tatsächlich, in erster Linie Anschläge auf jüdische und israelische Institutionen im Ausland zu befürchten, hat entsprechende Warnungen ausgesprochen und diesbezügliche Sicherheitsmaßnahmen verschärft.

Israelische Fahne mitten in Teheran

In jedem Fall steht das Mullah-Regime vor einem erheblichen Dilemma. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es nun nicht nur gegen Feinde im Ausland, sondern offenbar auch gegen Gegner im Inland kämpfen muss.

In einem spektakulär-mysteriösen Abschluss zu einem spektakulär-mysteriösen Anschlag wurde gestern auf einer Brücke mitten in Teheran ein großes Plakat mit der Aufschrift „Thank you Mossad“ und der israelischen Fahne gesichtet. Dass ein Foto davon von der heimischen Bevölkerung auf sozialen Medien vielfach geteilt wurde, spricht Bände.

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