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Utopischer Unsinn als Alternative zu Israel?

Will Israel durch einen bi-nationalen Staat "Israel-Palästina" ersetzen: Peter Beinart. (imago images/ZUMA Press)
Will Israel durch einen bi-nationalen Staat "Israel-Palästina" ersetzen: Peter Beinart. (imago images/ZUMA Press)

Mehrere amerikanisch-jüdische Prominente erteilten kürzlich Israel Absagen – ohne sich für die realen Menschen vor Ort zu interessieren.

In den vergangenen Wochen sorgten namhafte Meinungsmacher mit antizionistisch anmutenden Statements für Schlagzeilen. So verkündet der bekannte US-Journalist Peter Beinart, er habe den Glauben an einen jüdischen Staat aufgegeben, und der amerikanische Komiker Seth Rogen stellt den Zweck des Staates Israel in Frage.

Viel Lärm um Beinart

Anfang Juli erschien in der New York Times ein Gastkommentar mit der Überschrift: „Ich glaube nicht mehr an einen Jüdischen Staat“. Der Verfasser: Peter Beinart, seines Zeichens gefeierter politischer Kommentator, der sich als gläubiger Jude und linksliberaler Zionist bezeichnet. Umso verwunderlicher ist die neue These, die Beinart in seinem Artikel – die Kurzfassung eines Aufsatzes in der Zeitschrift Jewish Currents – zum Besten gibt: Weil Israel sich entschlossen habe, die Zwei-Staaten-Lösung sterben zu lassen, bliebe Juden nur noch ein einziger moralischer Ausweg: Sie müssten ihren Nationalstaat zugunsten eines gemeinsamen, bi-nationalen Staates Israel-Palästina aufgeben. Dort würden dann Juden und Palästinenser gleichberechtigt in einer echten Demokratie zusammenleben.

„Der jüdische Staat Israels hat seine Entscheidung so gut wie getroffen“, schreibt Beinart. Es sei ein Land, in dem Millionen Palästinenser ohne elementare Grundrechte lebten. Nun müssten auch liberale Zionisten, wie er einer sei, ihre Entscheidung treffen. Es sei an der Zeit, die traditionelle Zwei-Staaten-Lösung aufzugeben und das Ziel der Gleichberechtigung von Juden und Palästinensern zu verfolgen. Es sei Zeit, „sich ein jüdisches Heim vorzustellen, das kein jüdischer Staat ist.“

Diese Aufforderung löste heftigste Pro- und Contra-Reaktionen aus. So schwärmte der New York Times Reporter Max Fischer von „einem intellektuellen Wendepunkt“, der Kolumnist Ishaan Tharoor sprach von einem „monumentalen, richtungsweisenden Schriftstück“ und der Philosoph Omri Boehm schrieb, nun habe sich Beinart, „die wichtigste Stimme linker zionistischer Juden in Amerika… endlich zur Unterstützung bi-nationaler Politik bekannt” – nicht ohne hinzuzufügen, dass Boehm selbst zuvor in mehreren führenden Zeitschriften genau dafür plädiert hätte.

Noch leidenschaftlicher als die Lobgesänge fielen die Gegenstimmen aus. Der bekannte Rechtsanwalt Alan Dershowitz etwa sprach von „Beinarts Endlösung“, der US-Botschafter in Israel, David Friedman, nannte den Vorschlag des „Upper West Side-Kommentators“ „absurd“, „heimtückisch“ und „katastrophal“.

Was aber bleibt von der Kontroverse, und welche Argumente hallen jetzt, wo sich der erste Staub gelegt hat, immer noch nach?

„Utopischer Unsinn“

Die Vorstellung von einer großen, israelisch-palästinensischen Verbrüderung klingt illusorisch und ist es wohl auch. Wie genau soll eine solch harmonische Gemeinschaft zweier Völker funktionieren, die einander seit so vielen Jahren in mörderischer Feindschaft gegenüberstehen? Wie sieht eine gemeinsame Armee aus, die einen solchen bi-nationalen Staat vor externen Feinden verteidigen kann? Oder meint Beinart, dass Hisbollah, Hamas und der Iran angesichts der neuen Israel-Palästina-Konstellation entzückt die weiße Fahne schwenken werden?

Wie wird sich das demographische Ungleichgewicht auswirken, das Palästinenser bald die klare Bevölkerungsmehrheit bescheren dürfte? Wird dann Israel nicht zu einem muslimischen Staat werden, der dem Scharia-Rechtssystem unterliegt? Wäre das dann noch das jüdische Heim, von dem Beinart zu träumen behauptet?

„Was würde passieren“, so fragt in diesem Zusammenhang auch der konservative Intellektuelle Daniel Gordis, „wenn man zwei Völker vereint, die beide das Land als ihre Heimat betrachten, und deshalb keine Minorität werden wollen?“ Wie, so gibt er zu bedenken, würde eine Abstimmung über die „Rückkehr“ aller palästinensischen Flüchtlinge oder, alternativ, über die Einbürgerung von Millionen ausländischer Juden ausgehen? Ein einziges solches Dilemma, und schon bräche das filigrane bi-nationale Gebilde auseinander.

Kurz, der Vorschlag von Beinart ist nicht durchführbar, oder, wie der ehemalige US-Botschafter in Israel Dan Shapiro es ebenso kurz wie bündig zusammenfasst: Es handelt sich um „utopischen Unsinn“.

Keine Selbstmordkandidaten

Wohl weil die Idee von Beinart so abgehoben ist, wird sie vor-Ort lediglich mit einem Achselzucken quittiert. Vertreter der arabischen Bevölkerung in Israel, sprich Ayman Odeh, Ahmed Tibi und weitere Mitglieder der Vereinten Liste, sprechen sich nachdrücklich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Nachdem sie die Unterstützung von über 90% der israelischen Araber genießen, ist anzunehmen, dass ihre Wähler ähnlich denken.

Bei den jüdischen Israelis sieht es auch nicht anders aus. Die meisten würden eine Zwei-Staaten-Lösung begrüßen, wenn sie denn je umgesetzt werden kann. Ein gemeinsames Israel-Palästina steht dagegen für die große Mehrheit nicht zur Debatte. Ein Volk, dass Jahrtausende lang für eine Rückkehr nach Jerusalem gebetet, Jahrhunderte lang für Freiheit und Eigenständigkeit gekämpft und seinen Fortbestand im eigenen Land Jahrzehnte lang verteidigt hat, ein Volk, das die Wüste urbar und das Land zu einem modernen Staat gemacht hat, ein solches Volk wird sein hart errungenes Ziel – Wunder über Wunder – nicht wieder aufgeben wollen.

Nicht für einen auch noch so edel geschwungenen Federstrich von Peter Beinart. Und auch nicht für seine Verständnis von Anstand und Moral. „Viele von uns Israelis sind entsetzt über das, was hier noch immer nicht stimmt“, meint Daniel Gordis. „Aber wir haben trotzdem kein Interesse am Beinarts Vorschlag, deshalb Selbstmord zu begehen “, so der konservative Intellektuelle weiter.

Dass sich keiner der unmittelbar Betroffenen, sprich weder israelische Juden noch israelische Araber, einen Gemeinschaftsstaat wünscht, scheint Beinart nicht weiter zu kümmern. Jedenfalls setzt er sich in seinen Schriften überhaupt nicht mit dieser Tatsache auseinander. „Beinart spricht mit keinem, der tatsächlich in Israel-Palästina leben würde“, kritisiert denn auch Anshel Pfeffer in der Zeitung Haaretz. Nicht ein einziger Satz in dem ausführlichen Aufsatz sei der Überlegung gewidmet, wie die Mehrheit der ansässigen Israelis und Palästinenser von der Funktionsfähigkeit eines bi-nationalen Staates überzeugt werden könnten, so der Kolumnist, der Beinarts Plan immerhin als schöne Vision bezeichnet.

Falltür ins Verderben

Sind Beinarts Worte also, ob ihrer Praxisferne, irrelevant? Nicht wirklich. Ihr Einfluss auf Juden in der Diaspora darf nämlich nicht unterschätzt werden. Beinart habe, so schreibt Pfeffer weiter, in einer internen Unterhaltung unter einer „Handvoll palästinensisch-amerikanischer Akademiker“ einen „utopischen halb-jüdischen Staat“ kreiert, der einem Teil der jungen amerikanischen Juden einen „Safe Space“ bietet, um ihre jüdische Identität, ihre Affinität zu Israel und ihre progressiven politischen Ansichten in Einklang zu bringen.

Jüdischen Studenten an den mehrheitlichen linksliberalen Colleges in den USA und in anderen internationalen Universitäten dürfte ein bi-nationaler Staat tatsächlich wie ein Geschenk des Himmels vorkommen. Endlich würden sie, gestärkt von einem anerkannten Influencer wie Beinart, öffentlich zu einem neuen Staat namens Israel-Palästina stehen können und müssten sich nicht mehr mit dem gnadenlosen „Shaming’ durch ihre antizionistischen Kommilitonen sowie mit ihren eigenen – viele würden sagen unbegründeten – Gewissensbissen herumplagen.

Angesichts von Gruppenzwang und Meinungsmanipulation, jetzt auch noch verstärkt mit dem Rückenwind eines prominenten jüdischen Influencers, laufen immer mehr junge Diaspora-Juden Gefahr, das fundamentale Existenzrecht eines jüdischen Staates anzuzweifeln. Das wäre nicht nur eine beschämende, sondern auch eine gefährliche Entwicklung. Denn damit würden sie den zunehmend lautstarken Antisemiten direkt entgegenkommen, die ihren Judenhass in Antizionismus kleiden und dem jüdischen Volk – und nur ihm – das Recht auf einen eigenen Staat absprechen. Kein Wunder also, dass Ken Jacobson, ein Vertreter der ADL, Beinart beschuldigt, „in die Hände, der Antisemiten zu spielen“.

Ein Komiker, gar nicht komisch

Im Übrigen ist Beinart nicht der einzige jüdische Meinungsmacher, dem das vorgeworfen wird. Auch Seth Rogen hat neulich in einem Podcast mit Marc Maron den Sinn eines jüdischen Staates in Frage gestellt, dessen Existenz er mit einem „antiquierten Gedankengang“ assoziiert.

Wenn Israel aus religiösen Gründen bestünde, so der bekannte Komiker, dann sei er damit nicht einverstanden, denn er fände Religion „dumm“. Wenn man mit Israel den Fortbestand des jüdischen Volkes sichern wolle, so mache das Land ebenfalls keinen Sinn, denn man bewahre etwas, das man erhalten wolle, „nicht an einem Ort, der sich als ziemlich unbeständig erwiesen hat“. Zudem habe er Angst vor Juden: „Ich fürchte mich 100% vor den Juden“, witzelt der Komiker in bestem Einverständnis mit seinem Interviewpartner.

Ganz so wie sich das anhört, wäre es nicht gemeint gewesen, versichert Rogen dann in einem Follow-Up-Gespräch mit der Journalistin Allison Kaplan Sommer. Vieles habe er im Spaß gesagt, Israel sei ihm sehr wichtig und habe natürlich eine Existenzberechtigung.

Gut, Rogen hat es nicht so gemeint. Der Schaden, den er angerichtet hat, lässt sich aber nicht so einfach wegdiskutieren. Seine Worte veranlassen Antisemiten schon zu Jubelposts auf Social Media, und BDSler werten sie als Beweis dafür, dass sich immer mehr Diaspora-Juden von Israel abwenden. Seth Mandel twittert in diesem Zusammenhang trauernd über den „Selbstmord-Kult“ der Diaspora Juden. Das Bedenkliche daran ist, dass er Recht haben könnte. Jüdische Meinungsmacher haben eine Falltür geöffnet, und entzückte Fans laufen Gefahr, unbedacht hinein zustürzen.

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