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USA warnen vor »beunruhigender Eskalation« in Tunesien 

Tunesien: Pressekonferenz der Ennahda nach der Verhaftung ihres Parteichefs Ghannouchi
Tunesien: Pressekonferenz der tunesischen Ennahda nach der Verhaftung ihres Parteichefs Ghannouchi (© Imago Images / ZUMA Wire)

Nach der willkürlichen Verhaftung des islamischen Oppositionspolitikers Rached Ghannouchi zeigt sich die amerikanische Regierung beunruhigt über den zunehmend autoritärer agierenden Präsidenten Tunesiens.

Das US-Außenministerium äußerte sich vergangene Woche besorgt über die Verhaftung von Rached Ghannouchi und anderen tunesischen Oppositionellen, deren Inhaftierung Teil eines breit angelegten Vorgehens gegen vermeintliche Kritiker von Präsident Kais Saied ist. Vor einer Woche nahmen die tunesischen Behörden Ghannouchi fest, den unpopulär gewordenen Führer der islamischen, der Muslimbruderschaft nahestehenden Ennahda-Partei, welcher der letzte Parlamentssprecher war, bevor Saied das gesetzgebende Organ vor fast zwei Jahren auflöste.

Nach Angaben der Ennahda durchsuchten rund hundert Polizeibeamte in Zivil die Wohnung des 81-jährigen Politikers in der Hauptstadt Tunis und nahmen Ghannouchi zum Verhör mit, was seine Partei als »gefährliche Entwicklung« verurteilte. Seine Verhaftung steht offenbar in Zusammenhang mit seinen jüngsten Äußerungen, in denen er andeutete, das harte Vorgehen der Regierung gegen die politische Opposition könnte zu einem »Bürgerkrieg« führen. 

Seitdem nahmen die Behörden drei weitere prominente Ennahda-Funktionäre fest und durchsuchten das Hauptquartier der Partei. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, hätten die staatlichen Sicherheitsdienste der Partei auch verboten, Versammlungen abzuhalten und das Büro der breiteren Anti-Saied-Koalition, bekannt als Nationale Heilsfront, geschlossen. 

In einer zwei Tage nach Ghannouchis Verhaftung veröffentlichten Erklärung bezeichnete der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel, das jüngste Vorgehen als »grundlegend unvereinbar mit den Grundsätzen, welche die Tunesier in ihrer Verfassung verankert haben, die ausdrücklich die Meinungs-, Gedanken- und Ausdrucksfreiheit garantiert«. 

Kritiker sagen, dass die Verfassung, die im Juli nach einem weitgehend boykottierten Referendum angenommen wurde, die vielen hart erkämpften demokratischen Errungenschaften in dem Land, das den Arabischen Frühling ins Leben gerufen hat, wieder rückgängig macht und Saieds Ein-Mann-Herrschaft weiter zementiere. 

Die jüngsten Verhaftungen, die Schließung des Ennahda-Hauptquartiers, das Verbot von Versammlungen bestimmter Oppositionsgruppen und »die Andeutung der tunesischen Regierung, dass diese Maßnahmen auf öffentlichen Statements [der Verhafteten] zurückzuführen sind, stellen eine beunruhigende Eskalation der Regierung gegen vermeintliche Gegner dar«, so Patel in seiner Erklärung weiter.

Druck von außen?

Ennahda war die größte politische Partei im tunesischen Parlament, bevor Saied im Juli 2021 dieses aussetzte und den Premierminister entließ. Der Staatschef erklärte damals, dieser Schritt sei notwendig, um gegen Korruption und wirtschaftliche Misswirtschaft vorzugehen, doch gelang es Saied nicht, die Wirtschaft wie versprochen zu sanieren. Die Inflation liegt bei elf Prozent, und die Lebensmittel werden im ganzen Land immer knapper. Eine Verhaftungswelle, die Mitte Februar begann und sich gegen Journalisten, Richter, Aktivisten und andere politische Gegner richtete, wird weithin als Versuch Saieds gewertet, von der wirtschaftlichen Misere abzulenken. 

Monica Marks, Assistenzprofessorin für Politik im Nahen Osten an der New York University Abu Dhabi, sagte, dass die Ereignisse der vergangenen Woche einen »riesigen Schritt in Richtung der vollständigen Beseitigung jeder Form von politischem Pluralismus in Tunesien« darstellen. »Saied vertritt seit Langem die Ansicht, dass politische Parteien im Allgemeinen eine korrupte, spaltende Bedrohung für die Gesellschaft darstellen«, so Marks weiter

In einem Schreiben an den amerikanischen Außenminister Antony Blinken warnte eine Gruppe von Demokraten des Repräsentantenhauses im letzten Monat, dass Saieds fortgesetztes hartes Durchgreifen sowie seine jüngste rassistische Rhetorik gegen afrikanische Migranten »ernsthafte Bedenken« hinsichtlich der Beziehungen der USA zu Tunesien aufkommen ließen. Im März schlug die Biden-Regierung sogar vor, die Wirtschaftshilfe für Tunesien im nächsten Jahr deutlich zu kürzen, um »die anhaltende Besorgnis der Vereinigten Staaten über die Schwächung der demokratischen Institutionen zu signalisieren«.  Washington hat zwar finanziellen Einfluss auf Tunis, aber Experten bezweifeln, dass dieser ausreiche, um Saieds Verhalten zu beeinflussen. »Leider scheint er weder der Logik noch dem Druck von außen gewachsen zu sein, sodass ich nicht glaube, dass die US-Regierung allzu viele Instrumente zur Verfügung hat«, sagte Gordon Gray, der von 2009 bis 2012 amerikanischer Botschafter in Tunesien war. 

Ebenso gab es Vorschläge, die Biden-Administration solle ihren Einfluss im Vorstand des Internationalen Währungsfonds (IWF) nutzen, um das Tunesien versprochene Kreditpaket in Höhe von 1,9 Milliarden Dollaraufzuhalten. Es ist jedoch unklar, ob Saied dieses Rettungspaket, das von der tunesischen Regierung Subventionskürzungen verlangen würde, überhaupt genehmigen wird.  Anfang des Monats hatte er verkündet, sein Land werde keine ausländischen »Diktate« des IWF akzeptieren. Experten warnen davor, dass Tunesien ohne einen Kredit bereits im August seine Schulden nicht mehr bedienen kann.

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