In Tunesien wird die interne Kritik an der Führung der eben erst entmachteten Ennahda-Partei immer lauter.
Sarah Mersch, Neue Zürcher Zeitung
Die Führungsspitze seiner Partei habe zu lange die Augen verschlossen, sagt der tunesische Parlamentsabgeordnete Samir Dilou, ein Mitglied der muslimisch-konservativen Nahda-Partei, der bisher stärksten Kraft im Parlament. Die Parteiführung habe verleugnet, dass die Nahda längst nicht mehr den gleichen Rückhalt in der Bevölkerung habe wie noch vor einigen Jahren. (…)
Die Opposition gegen den 80-jährigen Gründervater Ghannouchi, der gleichzeitig auch Parlamentsvorsitzender ist, ist so laut wie noch nie, seit Präsident Kais Saied vor einer Woche kurzerhand die Regierung entmachtete und die Arbeit des Parlaments aussetzte.
Hatte die Nahda noch Ende Februar Tausende von Anhängern mit Bussen aus allen Landesteilen zur einer Unterstützer-Demonstration für die Regierung in die Hauptstadt gebracht, so verhallten letzte Woche die Aufrufe Ghannouchis für friedlichen Widerstand im Leeren. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Emrhod äußerten letzte Woche 87 Prozent der Befragten Unterstützung für die Entscheidungen von Kais Saied. Bis auf die türkische Regierung reagierte auch das Ausland verhalten. Selbst das eigentlich der Nahda nahestehende Katar äußerte nur vorsichtige Kritik an dem verfassungsrechtlich umstrittenen Manöver.
Bei den ersten freien Wahlen nach dem Umbruch 2011 hatte die Partei noch 1,5 Millionen Stimmen geholt. Bei den Parlamentswahlen 2019 waren es nur noch rund ein Drittel davon.
(Aus dem Artikel „Nach dem Putsch brodelt es in den Reihen der tunesischen Islamisten“, der von der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wurde.)