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UNO: Ein seltenes Nein aus Europa zur Kampagne gegen Israel

Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan
Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan (© Imago Images / NurPhoto)

Auf der kommenden UN-Generalversammlung wird Israel – mit europäischer Unterstützung – erneut mehr als doppelt so oft verurteilt werden wie alle anderen Länder der Welt zusammen. Bei der Vorabstimmung über die Resolutionen votierten mehrere EU-Staaten aber wenigstens in einem Fall mit Nein: Dass die Palästinenser vor den Internationalen Gerichtshof ziehen wollen anstatt zu verhandeln, lehnen sie ab.

Im Dezember kommen die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur jährlichen Generalversammlung zusammen, und wie immer wird diese Veranstaltung von einer Mehrheit dazu genutzt werden, um Israel an den Pranger zu stellen. Das steht schon jetzt fest, weil die einzelnen Resolutionen vorher bereits im sogenannten Vierten Komitee der UNO, dem Sonderausschuss für Politik und Entkolonialisierung, durchgestimmt werden. In der Generalversammlung wiederholt sich das Ergebnis normalerweise unverändert, das erneute Votum ist eine reine Formalie, schließlich gehören alle UN-Mitglieder dem Vierten Komitee an, das eines der sechs Hauptkomitees der Generalversammlung darstellt.

Am Ende werden es diesmal voraussichtlich siebzehn Resolutionen sein, die sich gegen den jüdischen Staat richten. Alle anderen Länder der Welt werden insgesamt auf sieben Verurteilungen kommen. Nachzulesen ist das bei UN Watch, dort findet man auch die einzelnen Beschlüsse respektive Beschlussvorlagen und die Abstimmungsergebnisse. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stimmen bei den meisten antiisraelischen Resolutionen genauso mit Ja wie die zahlreichen Autokratien, Despotien und Diktaturen, die in der UNO versammelt sind. Wenn sie es einmal nicht tun, also vom üblichen Prozedere abrücken, lohnt sich ein genauerer Blick besonders.

Die Resolution mit dem Titel »Israelische Praktiken, die die Menschenrechte der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, beeinträchtigen« bekam »nur« 98 Ja-Stimmen, 17 Länder votierten dagegen, 52 enthielten sich. Zu denjenigen Staaten, die sich für ein Nein entschieden, gehören neben Israel auch die USA, Kanada und Australien sowie Deutschland, Österreich, Tschechien, Estland, Italien, Litauen und Ungarn. Weitere EU-Länder enthielten sich, darunter Frankreich, Spanien, Dänemark, Norwegen und die Niederlande.

Resolution begünstigt unilaterale Schritte der Palästinenser

Der Kern des Beschlusses besteht darin, den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag »um ein dringendes Gutachten zu ersuchen«, und zwar zu den »rechtlichen Konsequenzen aus der andauernden Verletzung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung durch Israel, aus seiner andauernden Besetzung, Besiedlung und Annexion der seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiete, einschließlich der Maßnahmen, die darauf abzielen, die demografische Zusammensetzung, den Charakter und den Status der Heiligen Stadt Jerusalem zu verändern, sowie aus den damit zusammenhängenden diskriminierenden Vorschriften und Maßnahmen«. Zudem soll sich der IGH zur Auswirkung dieser »Politiken und Praktiken Israels auf den rechtlichen Status der Besatzung« äußern.

Konkret bedeutet das: Die Resolution begünstigt unilaterale Schritte der Palästinenser. Der Internationale Gerichtshof soll feststellen, ob Israel jene Gebiete, welche die palästinensische Seite für sich reklamiert, nicht nur besetzt, sondern annektiert hat. Statt politische Verhandlungen mit Israel zu führen, würde man so die Angelegenheit einer juristischen Instanz überantworten, konkret: dem Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. 

Entsprechend scharf fielen die israelischen Reaktionen aus. »Die Palästinenser wollen Verhandlungen durch einseitige Schritte ersetzen«, sagte der noch amtierende Premierminister Yair Lapid. »Sie benutzen erneut die Vereinten Nationen, um Israel anzugreifen.« Der Schritt werde aber »die Realität vor Ort nicht verändern und dem palästinensischen Volk in keiner Weise helfen«. Er könnte »sogar zu einer Eskalation führen«, so Lapid weiter. Bei der Sitzung des Vierten Komitees der UNO kritisierten Israel und die USA, der Beschluss sei der Versuch, eine Verhandlungslösung zu umgehen, und stehe damit im Widerspruch zu früheren UN-Resolutionen, auch im Sicherheitsrat, in denen genau diese Verhandlungen gefordert worden seien.

Ein Beispiel für Lawfare gegen Israel

Auch der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan wurde deutlich. »Die Palästinenser haben jede einzelne Friedensinitiative abgelehnt, und jetzt bringen sie ein externes Gremium ins Spiel mit der Begründung, dass der Konflikt nicht gelöst sei. Aber der einzige Grund, warum er nicht gelöst wurde, ist ihre Ablehnung«, sagte er. »Sie behaupten, zu Verhandlungen bereit zu sein, aber verschweigen, nur dann dafür bereit zu sein, wenn ihnen hundert Prozent ihrer Forderungen garantiert werden, bevor sie sich überhaupt an den Verhandlungstisch setzen.«

Letztlich ist die Resolution, die im Dezember auch von der UN-Generalversammlung angenommen wird, ein Bestandteil des Kampfes gegen Israel mit juristischen Mitteln, in dem der israelisch-palästinensische Konflikt nicht als politischer Konflikt behandelt, sondern als Rechtsstreit präsentiert wird – mit Israel als notorischem Rechtsbrecher. Was sich bislang weder militärisch noch auf dem Verhandlungsweg gegen Israel durchsetzen ließ, soll auf internationaler Ebene mit juristischen Werkzeugen und der Unterstützung der »internationalen Gemeinschaft« vorangetrieben werden. 

Diese Strategie nennt man Lawfare, ein sogenanntes Kofferwort, das sich aus den Wörtern law (Recht) und warfare(Kriegsführung) zusammensetzt – Kriegsführung mit den Mitteln des Rechts. Popularisiert hat den Terminus vor allem der ehemalige amerikanische Generalmajor Charles J. Dunlap jr., der ihn im Jahr 2001 in einer Rede an der Universität von Harvard als Strategie bezeichnete, »das Recht als Ersatz für traditionelle militärische Mittel zum Erreichen eines operativen Ziels zu gebrauchen oder zu missbrauchen«.  Später erweiterte er die Definition und nannte Lawfare »die Ausbeutung von tatsächlichen, wahrgenommenen oder inszenierten Verstößen gegen das Kriegsrecht«, um so auf unkonventionelle Weise auf Konfrontationskurs zu einer überlegenen Militärmacht zu gehen.

Leugnung jüdischer Geschichte und Gegenwart

Lawfare bedeutet, die Rechtmäßigkeit von politischen und militärischen Handlungen des Gegners immer wieder anzuzweifeln, sie zu kriminalisieren und dabei möglichst schwerwiegende Verstöße zu unterstellen, seien die Vorwürfe auch noch so überzogen. Der Gegner soll in zeitraubenden Verfahren, die seine Verurteilung zum Ziel haben, gezwungen werden, sich bei seiner Rechtfertigung und Verteidigung in Widersprüche zu verwickeln und Zugeständnisse zu machen. Er soll, selbst wenn ein Prozess zu seinen Gunsten ausgeht, politischen, wirtschaftlichen und moralischen Schaden nehmen und zermürbt werden, seine Handlungsfähigkeit und sein Bewegungsspielraum sollen eingeschränkt werden, sein Image in der Öffentlichkeit zumindest Kratzer davontragen.

In der Resolution werden die terroristischen Angriffe auf israelische Zivilisten in Israel nicht erwähnt, es ist nur allgemein die Rede von »Spannungen und Gewalt in jüngster Zeit in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ostjerusalem«. Zudem wird der Tempelberg einmal mehr als rein islamischer Ort betrachtet, indem ausschließlich sein arabischer Name (Haram al-Sharif) im Text genannt wird. Diese faktische Leugnung jüdischer Geschichte und Gegenwart, die von einer Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten geteilt wird, ist charakteristisch für UN-Resolutionen.

Es ist zwar erfreulich, dass sich bei der Abstimmung über diesen Beschluss diesmal mehr EU-Länder zu einem Nein bereitfanden als üblicherweise bei antiisraelischen Resolutionen. Das dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass es ein Widerspruch wäre, die Konfliktparteien zu Verhandlungen aufzurufen und zugleich unilaterale Schritte zu befürworten. Aber es ist auch bezeichnend, wie viele europäische Staaten sich nicht dazu durchringen konnten, den Beschlussentwurf klar abzulehnen. Bei den weiteren bisherigen Abstimmungen votierten die EU-Staaten zudem, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, wie gehabt gegen den jüdischen Staat. 

Dieser wird auf der Generalversammlung mehr als doppelt so häufig verurteilt werden wie alle anderen Länder dieser Welt zusammen, darunter der Iran, Syrien, Nordkorea und Russland. Das ist und bleibt schlicht und ergreifend grotesk. 

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