Ein Jahrzehnt nach dem Beginn ihres Selbstverwaltungsexperiments fürchten die syrischen Kurden bei der sich abzeichnenden Annäherung zwischen Damaskus und Ankara um ihre Autonomie.
Bevor der Konflikt in Syrien ausbrach, war es den rund zwei Millionen Kurden des Landes nicht gestattet, die kurdische Sprache in der Schule zu erlernen oder ihre Feste zu feiern. Ein Jahr nach Beginn des Aufstands in Syrien im Jahr 2011 zogen sich die Regierungstruppen aus weiten Teilen des nördlichen Syriens zurück und ebneten damit den Weg für eine von den Kurden geführte »autonome Verwaltung«, die ihre eigenen Einrichtungen betreiben konnte; darunter eben auch Schulen, in denen Kurdisch unterrichtet wird.
Viele Mitarbeiter in der sogenannten autonomen Verwaltung meinen jedoch, sie könnten ihre neu gewonnenen Rechte verlieren, sollte sich die syrische Regierung mit der Türkei aussöhnen, die seit 2011 sunnitische Rebellen gegen Präsident Baschar al-Assad unterstützt, während sie zugleich von Kurden geführte syrische Regionen angegriffen hat, die Ankara als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet.
Die Befürchtungen beruhen auf einem sich ankündigenden Tauwetter in den Beziehungen zwischen Damaskus und Ankara, das von Moskau gefördert wird. Jede Normalisierung zwischen den beiden Ländern würde den seit einem Jahrzehnt währenden Krieg in Syrien neu ausrichten. Der türkische Geheimdienstchef war in diesem Monat zu inoffiziellen Gesprächen in Damaskus, der türkische Außenminister hat die Versöhnung zwischen Rebellen und der Regime gefördert, und Präsident Tayyip Erdogan sagte, er wäre gerne mit Assad zusammengetroffen, hätte dieser vergangene Woche am Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Usbekistan teilgenommen.
Bei den Gesprächen zwischen der Türkei und Syrien geht es wahrscheinlich nicht zuletzt um die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich noch immer in der Türkei aufhalten und die Erdogan gerne vor seiner möglichen Wiederwahl im nächsten Jahr in ihre Heimat zurückschicken würde; aber auch um Vereinbarungen über Sicherheit und Regierungsführung im Norden. Während die Türkei ein erklärter Feind der autonomen Verwaltung ist, waren die syrischen Kurden bestrebt, einen Dialog mit Damaskus zu führen, während sie gleichzeitig versuchten, gute Beziehungen zu Moskau und der US-geführten Koalition zur Bekämpfung der Dschihadisten in Syrien zu unterhalten.
Doch selbst Russland könnte sich jetzt gegen die Kurden wenden, so Saleh Muslim, Vize-Vorsitzender der Partei der Demokratischen Union, der wichtigsten Partei in der autonomen Zone. »Dies alles geschieht auf Initiative Russlands, das diese Annäherung fördert«, so Muslim gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auf kurdischer Seite herrscht nun die Befürchtung, dass dies zugleich das Ende der kurzlebigen Autonomie bedeuten würde, die sie in den letzten Jahren erleben konnte.
Vor allem das Kurdisch könnte dabei als erstes zur Disposition stehen, da sowohl Ankara als auch Damaskus gegen einen Sprachunterricht in den Schulen sind. »Nach allem, was wir in den letzten zehn Jahren erreicht haben, befürchten wir, die Annäherung zwischen der Türkei und Syrien könnte zur Unterdrückung der Bevölkerungsgruppen in dieser Region führen und die Auslöschung der kurdischen Kultur und Muttersprache bedeuten«, sagte eine Lehrerin aus Kobane gegenüber Reuters. »Wir sehen alle Bemühungen der Türkei darauf ausgerichtet, die autonome Verwaltung abzuschaffen, und in diesem Fall würde sich alles für uns ändern«, sekundierte ihr eine Ladenbesitzerin.