Und wieder „die Kurden“

Von Thomas von der Osten-Sacken

In einem Artikel für Mena Watch schreibt Thomas Eppinger: „Zwischen 60.000 und 100.000 der in Österreich lebenden Türken sind Kurden, ungefähr gleich viele sind Aleviten, beides Minderheiten, die in der Türkei Repressionen ausgesetzt sind und deren Angehörige niemals für die Verfassungsänderung gestimmt hätten.“ Nun hätte allerdings ein kurzer Blick auf die Wahlergebnisse in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Provinzen der Türkei gezeigt, dass diese Aussage so nicht korrekt ist:

Und wieder „die Kurden“

Mit Ausnahme von Dersim/Tunceli, das auf eine ganz besondere Geschichte zurückblickt und hauptsächlich von Aleviten bewohnt wird, haben in so gut wie allen kurdischen Provinzen mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten für das Referendum gestimmt.  Die Vorstellung, Kurden handelten irgendwie einheitlich oder seien als Volk unterdrückt und ein Kollektivakteur ist eine beliebte Projektion vor allem in Deutschland und Österreich, die mit der Realität in Kurdistan wenig zu tun hat. Einer der engsten Verbündeten der AKP  beispielsweise ist Massud Barzani, Vorsitzender der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und Präsident der kurdischen Regierung im Irak.

Ganz im Gegenteil rätseln momentan Analysten in der Türkei, wie es kommen konnte, dass in vielen kurdischen Provinzen Erdogan sogar Stimmen gewonnen hat, trotz der Militärkampagnen der letzten Jahre, die in Sirnak, Nusaybin, Diyabakir und anderen Städten zu enormen Zerstörungen geführt hat.

„In den meisten östlichen und südöstlichen Provinzen, in denen viele Kurden leben, erhielt die ‚Ja‘-Kampagne mehr Stimmen als die AKP bei den Parlamentswahlen der jüngeren Zeit. Fast überall in dieser Region stimmten viele Kurden für die von Erdogan und der regierenden AKP angeführte ‚Ja‘-Kampagne. Bei den Wahlen im November 2015 beispielsweise erhielt die AKP in den meisten von Kurden bewohnten Provinzen weniger kurdische Stimmen als jetzt die Kampagne für die Verfassungsänderung.“

Auch wenn es in das Narrativ nicht passen mag, das die türkische Bevölkerung feinsäuberlich in nationalistisch-islamistisch sunnitische Türken und gute Kurden und Aleviten teilen mag. Die Realität sieht nämlich so aus:

„Die inoffiziellen Ergebnisse deuten darauf hin, dass türkische Kurden die ‚Ja‘-Kampagne vor einer bösen Überraschung bewahrt haben.“

Nun sollte man nicht vergessen, TRT ist alles andere als ein unabhängiges Medium und hat sicher, wie die AKP auch, ein Interesse daran, den Eindruck entstehen zu lassen, dass Erdogan von weit mehr Wählern in Kurdistan unterstützt wurde, als von den Umfragen prognostiziert. Die Realität aber ist auch, dass ein Großteil der zuvor ungültigen Wahlzettel aus den südöstlichen Provinzen stammen, in diesem Gebiet Militärrecht herrscht und im Vorfeld Repressionen und Einschüchterungen enorm waren sowie Dutzende Wahlbeobachter der prokurdischen HDP festgenommen wurden, man also noch weniger von fairen und freien Wahlen sprechen kann als im Rest der Türkei.

Und deshalb sollte den Wahlergebnissen noch weniger Vertrauen geschenkt werden, als denen aus dem Rest des Landes. Nur: Pauschalaussagen, wie die von Thomas Eppinger über kurdisches Wahlverhalten lassen sie ganz sicher nicht zu. Die Verhältnisse in der Türkei sind doch ein wenig komplizierter, weshalb die Suche nach den Guten zum Scheitern verurteilt ist schlimmstenfalls Ressentiments nährt. Denn Eppinger ist nicht der Einzige, der zu diesem Schluss kommt. Hamad Abdel Samad vermutet ganz ähnliches und dürfte mit folgendem Eintrag auf seiner Facebookseite sogar die Vorlage für Eppingers Überlegungen auf Mena Watch geliefert haben:

„Nur 36% der Deutschtürken sind gegen das Ermächtigungsgesetz von Erdogan. Wenn man weiß dass 25% der hier lebenden Türken eigentlich Kurden/Aleviten sind, die so ein Gesetz aus existentiellen Gründen ablehnen und weitere christliche Assyrer und Aramäer, die auch gegen diese Verfassungsänderung sind, dann liegt die Zustimmungsquote für die Einführung der Diktatur bei den muslimischen nichtkurdischen Türken schon bei über 90%. Also sind die Türken in Deutschland gar nicht gespalten, was Erdogan angeht wie es in der Türkei der Fall ist, sondern stehen geschlossen hinter dem Islamismus, dem Chauvinismus und der Todesstrafe.“

Und so kommt man dann ganz schnell zu dem Schluss, dass weil Kurden, da sie ja Kurden sind, nicht für das Referendum gestimmt haben können, die restlichen, also die sunnitisch-muslimischen Türken in Deutschland und Österreich „geschlossen hinter dem Islamismus, dem Chauvinismus und der Todesstrafe“ stünden.

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