Die Pläne der Regierung für eine Gedenkveranstaltung am Jahrestag des Massakers stoßen auf heftige Kritik.
Bald ist es ein Jahr her, dass Hamas-Terroristen und palästinensische Zivilisten aus dem Gazastreifen in Israel in grenznahen Orten einfielen und unvorstellbare Verbrechen begingen. Die israelische Regierung hat nun Pläne für eine zentrale Gedenkveranstaltung am ersten Jahrestag des Massakers bekanntgegeben: Vor einem Publikum von 3.000 Menschen soll ein TV-Event mit zuvor produzierten Beiträgen und eingespielten Reden, unter anderen von Premier Benjamin Netanjahu, in Szene gesetzt werden.
Dafür wurde ein Budget von rund eineinhalb Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Mit der Organisation der Veranstaltung wurde Verkehrsministerin Miri Regev aus Netanjahus Likud-Partei beauftragt.
Eine Provokation
Nicht zuletzt wegen dieser Personalie ist über die geplante Veranstaltung heftiger Streit ausgebrochen, denn dass ausgerechnet Regev – eine sehr umstrittene Politikerin, die für Regierungsgegner ein rotes Tuch darstellt – als Organisatorin bestellt wurde, wird von vielen Einwohnern der Kibbuzim, die am schwersten vom Hamas-Massaker betroffen waren, als Provokation durch eine Regierung aufgefasst, die sich bis heute weigert, Verantwortung für die Fehler und Versäumnisse zu übernehmen, welche die Katastrophe erst möglich gemacht hatten.
So mehrten sich in den letzten Tagen die Stellungnahmen von Geiselangehörigen und aus grenznahen Ortschafen, die sich in deutlichen Worten gegen die geplante Regierungsveranstaltung aussprechen: »Wir werden nicht zulassen, dass das Gedenken an unsere geliebten Menschen in einer inszenierten, konstruierten Gedenkveranstaltung unter den Augen zynischer Politiker stattfindet, die sich vor der Verantwortung drücken«, schrieb der Bruder einer verschleppten Israelin, die im Gazastreifen durch sogenanntes friendly fire ums Leben gekommen war.
Am Montag gab der Kibbuz Nirim bekannt, mit der Regierungsveranstaltung nicht kooperieren zu wollen. »Statt einer staatlichen Gedenkfeier fordern wir eine staatliche Untersuchungskommission«, hieß es in einer Erklärung. »Ein ganzes Jahr lang ist kein einziger Regierungsvertreter nach Nirim gekommen, um Verantwortung zu übernehmen, Versagen einzugestehen und zu fragen, was gebraucht wird.«
Später schlossen sich die Kibbuzim Yad Mordechai und Nir Oz dem Boykott an. Die Bewohner von Nir Oz erklärten: »Wir wollen klarstellen, dass wir uns weigern, an einer politischen Zeremonie der Regierung mitzuwirken; selbst, wenn wir eingeladen werden. Derjenige, der unser Vertrauen vollständig untergraben hat, kann das nicht durch Zeremonien verschleiern, in denen er uns als Statisten benutzt.« Mehrere Kibbuzim haben angekündigt, an Stelle der staatlichen Zeremonie im Rahmen privater Veranstaltungen der Opfer zu gedenken.
Aber nicht alle der vor einem Jahr von den Hamas-Attacken betroffenen Gemeinden schließen sich dem Boykott an. So gaben die Städte Sderot und Ofakim bekannt, an der Regierungsveranstaltung teilzunehmen. Ein Bewohner von Sderot sagte zur Jerusalem Post: »Wir sind eine Nation und wir dürfen solche staatlichen Zeremonien nicht boykottieren. Ich verstehe die Wut unserer Brüder aus den Kibbuzim, die am 7. Oktober ein schreckliches Massaker erlitten haben, aber wir müssen vereint sein.«
Kritik von Opposition
Auch die Oppositionspolitiker Benny Gantz und Yair Lapid können der offiziellen Veranstaltung nichts abgewinnen. Lapid stellte fest: »Die einzige Zeremonie, welche die Regierung Netanjahu und ihre Extremisten abhalten können und sollten, ist eine Rücktrittszeremonie und die Ankündigung einer staatlichen Untersuchungskommission.«
Benny Gantz wiederum schrieb auf X, das Gedenken an diesem Jahrestag »sollte von denjenigen bestimmt werden, die das Inferno erlebt haben«. Noch sei es nicht zu spät für einen Kurswechsel, um das Gedenken gemeinsam mit den betroffenen Gemeinden und den Angehörigen der Geiseln zu organisieren.