Vor kurzer Zeit ist ein Video aufgetaucht, das angeblich ukrainische Spezialeinheiten im Kampf gegen russische Söldner in Syrien zeigt. Die Authentizität dieses Filmmaterials ist jedoch umstritten.
Anfang Juni ließ die ukrainische Wochenzeitung Kyiv Post mit einem online veröffentlichten Video aufhorchen. Es zeigt Szenen, bei denen nicht näher erkennbare Soldaten Verteidigungsstellungen und Fahrzeuge beschießen, einschließlich eines Kleinbusses, der mit hoher Geschwindigkeit eine Straße entlangfährt. In anderen Szenen detonieren offenbar funkgesteuerten Sprengsätze, als Menschen darauf zugehen.
Laut Redaktion der Kyiv Post wurde ihnen das 2:13 Minuten lange Video vom ukrainischen Militärgeheimdienst zugespielt. Zu sehen seien ukrainische Spezialeinheiten, die nicht näher definierte, russische Söldner in Syrien bekämpfen. Konkret würden sich die Angriffe der Spezialeinheiten gegen russische Streitkräfte richten, die im Südwesten des Landes, in den Golanhöhen stationiert sind. Das Video ist mit März 2024 datiert.
Allerdings gibt es Zweifel an der Echtheit des Videos. Analysten argumentieren, dass keine russischen Söldner im Südwesten Syriens stationiert seien. Laut der Jerusalem Post handelt es sich bei den russischen Einheiten in den Golanhöhen um Militärpolizei. Andere vermuten, die Aufnahmen seien alt und würden Zusammenstöße in Daraa zeigen, einem Gebiet östlich der Golanhöhen.
Geplante Syrien-Operation
Mag der aktuelle Einsatz ukrainischer Spezialeinheiten in Syrien auch bezweifelt werden, ist seit Frühjahr 2022 bekannt, dass Kiew über eine solche Operation zumindest nachdachte. Damals verbreitete ein Soldat der US-Nationalgarde geheime militärische Dokumente auf der Online-Plattform Discord, darunter auch ukrainische Einsatzpläne für Syrien. Ein von der Washington Post ausgewertetes Dokument gibt die Pläne im Detail wieder.
Die Eröffnung einer neuen Front gegen Moskau, Tausende Kilometer vom Krieg in der Ukraine entfernt, sollte Russland und seiner paramilitärischen Gruppe Wagner offenbar Kosten und Verluste auferlegen mit dem Ziel, den Kreml dazu zu zwingen, Ressourcen aus der Ukraine abzuziehen.
Laut den geleakten Plänen sollten die Angriffe so ausgeführt werden, dass Kiew damit nicht in Verbindung gebracht wird. Offenbar gab es auch Gespräche zwischen dem ukrainischen Militärgeheimdienst und der Führung der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), welche die ukrainischen Spezialeinheiten bei ihrer Operation in Syrien unterstützen sollten.
Der Plan des ukrainischen Militärgeheimdienstes sah Drohnenangriffe auf russische Einrichtungen nahe Damaskus vor. Weitere Ziele waren Erdölinfrastruktur, die damals noch von Söldnern der Gruppe Wagner kontrolliert wurde und Gebiete an der syrischen Küste, wo sich der für Moskau so wichtige Marinestützpunkt in Tartus befindet.
Die Militäroperationen hätten in Kooperation mit den kurdischen SDF stattfinden sollen. Diese erwarteten sich im Gegenzug für ihre Hilfe die Lieferung von Luftabwehrsystemen und die Garantie der Geheimhaltung ihrer Rolle. Die Führung der SDF verbot außerdem Angriffe auf russische Stellungen in kurdisch kontrollierten Gebieten, heißt es in den geleakten Dokumenten.
Soweit der Plan. Doch im Dezember 2022 winkte Präsident Volodymyr Selenskyj ab und die Mission wurde (vorerst) nicht ausgeführt. Warum, sei unklar, so die Washington Post; möglicherweise auf Druck der USA, vielleicht aber auch, weil Kiew die im Kampf gegen Russland dringend benötigten Drohnen nicht nach Syrien verschicken wollte. Möglicherweise hatte Selenskyj auch Zweifel, ob die geplanten Angriffe gegen russische Ziele in Syrien überhaupt den gewünschten Erfolg bringen würden. Von der Washington Post nach den Kooperationsplänen mit Kiew befragt, dementierte ein Sprecher der SDF, dass es diese jemals gegeben habe.
Gold für Moskau
Kann der Einsatz ukrainischer Spezialkräfte in Syrien nicht eindeutig belegt werden, ergibt sich an einem anderen Kriegsschauplatz ein klareres Bild. Seit Frühjahr 2023 tobt im Sudan erneut ein Bürgerkrieg, in dem die Schnelle Eingreiftruppe (RSF) und die Sudanesischen Streitkräfte (SAF) um die Macht im Staat kämpfen.
Die russische Söldnergruppe Wagner – inzwischen in Afrika Corps umbenannt und dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt – wurde einst von Diktator Omar al-Bashir in den Sudan geholt, um ihn bei der Bekämpfung von Aufständischen zu unterstützen. Nach seiner Entmachtung im April 2019 blieben die russischen Söldner im von Militärputschen und Bürgerkriegen geplagten Land weiterhin stationiert.
Als Gegenleistung für ihre Dienste durfte sich die Gruppe Wagner/Afrika Corps an der Ausbeutung sudanesischer Goldminen beteiligen. Wie die New York Times berichtete, ließ der Gründer der Söldnertruppe, Jewgeni Prigoschin, in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod im August 2023 sudanesisches Gold im Wert mehrerer Milliarden Dollar über Syrien und die Arabischen Emirate nach Russland ausfliegen – eine für den durch Wirtschaftssanktionen geplagten Kreml willkommene Aufstockung seiner Goldreserven.
Im aktuellen sudanesischen Bürgerkrieg steht Moskau an der Seite der RSF, die einen großen Teil der Goldminen kontrollieren. Der Führer der RSF-Miliz, Mohammed Hamdan Daglo, garantiert dem Kreml Zugang zu diesem Gold. Im Gegenzug liefert Moskau den RSF Waffen und militärisches Know-how und bildet ihre Soldaten aus.
Im September 2023 berichtete CNN, ukrainische Spezialeinheiten würden im Sudan operieren. Laut dem amerikanischen Fernsehsender hätten diese eine Reihe von Kamikaze-Drohnenangriffen gegen Söldner des Afrika Corps bzw. der RSF in Omdurman geflogen, wie ein von CNN veröffentlichtes Video zeigen soll. Ein weiteres, von der Kyiv Post im Februar 2024 veröffentlichtes Video zeigt angeblich ukrainische Spezialkräfte beim Verhör von Wagner-Söldnern im Sudan. Ort und Inhalt des Videos konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Russische Interessen im Visier
Einige Analysten bezweifeln, ob die von russischen Streitkräften bedrängte Ukraine überhaupt in der Lage sei, Spezialeinheiten für Einsätze in Syrien und im Sudan abzuziehen. Allerdings lassen sich Operationen wie jene in den Videos dargestellten auch mit kleinen Kommandos durchführen, ohne dass die ukrainischen Fronten dadurch nennenswert ausgedünnt werden würden.
»Wir sind überall dort präsent, wo es möglich ist, die Interessen Russlands zu schwächen«, zitiert Politico Andriy Yusov, ein Mitglied des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Offiziell bekannt hat sich Kiew zu den Einsätzen im Sudan nicht. Wir können Operationen weder bestätigen noch dementieren, so Yusov.
Geht man aber von der Echtheit des Videomaterials aus, scheint dieses jedenfalls die Worte Yusovs zu bestätigen: Kiew will Moskau zeigen, dass dessen Interessen jederzeit von ukrainischen Streitkräften gestört werden können und russische Einsatzkräfte nirgendwo sicher sind.