Von Hannah Wettig
Im August gab das omanische Sozialministerium eine Gesetzesänderung zum Schutz von Kindern bekannt, darunter ein ausdrückliches Verbot von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM). Für Frauenrechtsaktivistinnen kam der Schritt überraschend.
Zuvor verbot Artikel 4 der „Konvention des Kindes“ nur vage „schädliche traditionelle Praktiken“. Der Begriff wird international häufig als Synonym für FGM verwendet. Doch im Oman verstand man das anders. Religionsführer und sogar der Großmufti des Oman predigten die Verstümmelung sei religiöse Pflicht. Die Beschneidungsrate ist entsprechend hoch, ein Umdenken hat bisher kaum stattgefunden.
Nun sind im Gesetz sechs Beispiele für schädliche traditionelle Praktiken aufgeführt. Unter Punkt 1 wird die Genitalverstümmelung von Mädchen genannt, weitere Beispiele sind das Verbrennen oder Bügeln von Kindern, um das Böse auszutreiben und Kinder dazu zu zwingen, etwas Schädliches zu trinken.
Erschreckende Zahlen
Ministeriumsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen erläuterten das Gesetz im Fernsehen und kündigten Aufklärung der Bevölkerung an. Diese Sendungen haben eine breite Debatte in sozialen Medien ausgelöst, berichtet die Frauenrechtsaktivistin Habiba al Hinai im Interview: „Die Menschen waren überrascht, niemand wusste, dass das kommen würde. Viele Männer sind wütend. Sie sagen, es sei gegen die Religion. Aber Frauen jubeln.“
Sie selbst setzt sich seit 2013 gegen weibliche Genitalverstümmelung im Oman ein. Damals führte sie eine Umfrage unter 100 Frauen in der Hauptstadt Muskat durch und war von dem Ergebnis schockiert: 78 Prozent der zufällig befragten Frauen in Einkaufszentren und einem Krankenhaus gaben an, verstümmelt zu sein. Dieser hohe Prozentsatz war selbst für die wenigen, die schon in den Jahren zuvor auf die Verbreitung von FGM im Oman hingewiesen hatten, überraschend.
Als Leiterin der deutsch-irakischen Kampagne Stop FGM Middle East & Asia, die sich dem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung in Asien verschrieben hat, reiste ich Ende 2013 in den Oman und traf dort Bloggerinnen, die gegen die brutale Praxis anschrieben. Sie alle nahmen bis dahin an, die Praxis sei hauptsächlich in der konservativen südlichen Region Dhofar und in einigen ländlichen Bergregionen im Norden verbreitet – nicht in der modernen Hauptstadt.
Nach der Veröffentlichung ihrer Studie traf sich Al-Hinai mit Vertreterinnen des Gesundheitsministeriums und des Sozialministeriums. „Ich hatte das Gefühl, dass sie sehr interessiert waren und handeln wollten, aber dann versiegte der Kontakt – ich vermutete, jemand hatte ihnen geraten, das Thema ruhen zu lassen.“
Bereits im Jahr 2005 hatte das Gesundheitsministerium in seinem Fünfjahresplan Maßnahmen gegen weibliche Genitalverstümmelung angekündigt und eine Studie erwähnt, die eine hohe Verbreitung aufzeigte. Es wurden jedoch nie Maßnahmen ergriffen, und die Studie war für Außenstehende lange nicht verfügbar.
2018 veröffentlichten die Sozialwissenschaftlerin Hoda Thabet und die Ärztin Muna Al Kharoussi eine weitere Studie, diesmal im Gouvernement Dakhiliyya. Sie stellten fest, dass 95,5 Prozent der befragten Frauen verstümmelt waren.
Ignoranz der UNO
Habiba Al-Hinai vermutet, dass die jetztige Gesetzesänderung mit dem bald anstehenden Universal Periodic Report (UPR) zusammenhängen könnte. Die Vereinten Nationen (UN) verfassen diese Berichte in regelmäßigen Abständen zu allen UN-Mitgliedstaaten. Im Zentrum stehen dabei Verletzungen und Schutz von Menschenrechten. Die Regierung von Oman reagiere stets sehr empfindlich auf internationale Kritik an Frauenrechtsverletzungen, erläutert Al Hinai.
Allerdings haben die Vereinten Nationen weibliche Genitalverstümmelung im Oman bisher kaum thematisiert. Anti-FGM-Aktivistinnen klagten darüber, dass sie im UNICEF-Büro in Muskat nicht empfangen würden. Ein lokaler Vertreter des UN-Bevölkerungsfonds hatte noch 2015 behauptet, die brutale Praxis gäbe es nicht im Oman. Erst als die Initiative Stop FGM Middle East das New Yorker Büro des UNFPA-UNICEF Programms zur Beseitigung von Genitalverstümmelung alarmierte, nahm die lokale UN-Vertretung diese Behauptung zurück.
Wie auch in Bezug auf andere asiatische Länder wollte die UN lange nichts davon wissen, dass dort weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird. Viele UN-Berichte erwähnten nicht einmal Indonesien, wo eine vom UN-Bevölkerungsfonds finanzierte Umfrage schon 2003 eine hohe Verbreitung festgestellt hatte. Anti-FGM-Aktivistinnen in Indien erlebten beim Besuch des UNICEF-Büros in Mumbai ganz ähnliches wie die Frauenrechtlerinnen in Oman: Ihnen, die selbst Betroffene waren, sagte eine Mitarbeiterin, es gäbe in Indien keine weibliche Genitalverstümmelung.
Noch immer nimmt die UN nicht zur Kenntnis, in wie vielen Ländern Asiens FGM praktiziert wird. So findet etwa Malaysia, Thailand, Brunei, Kambodscha, Sri Lanka oder Iran keine Erwähnung. Für diejenigen dort, die sich gegen die Praxis aussprechen, wäre eine solche Anerkennung jedoch wichtig, auch weil sie einen gewissen Schutz bietet. Denn schon das Reden über weibliche Genitalverstümmelung ist gefährlich. Gerade wurde in Malaysia eine Fatwa gegen Sisters in Islam, die einzige Frauenrechtsorganisation, die sich des Themas annimmt, vom obersten Gericht bestätigt. Im Iran wurde der Anthropologe Kameel Ahmady, der mit seinen Studien zu weiblicher Genitalverstümmelung in den kurdischen Gebieten Pionierarbeit geleistet hat, vergangenen Monat inhaftiert.
Was folgt auf das Gesetz?
Daher ist es kaum wahrscheinlich, dass die UNO Druck auf die Regierung im Oman ausgeübt hat. Unterstützung erhielten Aktivistinnen dort allerdings ganz unverhofft von der früheren Bundesvorsitzenden der Grünen und heutigen Vizepräsidentin des Bundestags Claudia Roth. Sie besuchte den Oman 2014 und traf sich auf Anraten der deutschen Botschaft mit Habiba Al Hinai, die eine führende Rolle im omanischen Arabischen Frühling gespielt hatte. „Ich habe das Thema FGM mit ihr besprochen und am nächsten Tag sprach sie darüber vor der Majlis Al Dawla (dem Repräsentantenhaus).“
Es war laut Hinai das erste Mal, dass das Thema so offen angesprochen wurde. Das lange Schweigen hatte Gründe. Wer über die Existenz von FGM auf Arabisch in sozialen Medien schrieb, erhielt Besuch vom Staatsschutz. Nur englisch-sprachige lokale Medien durften berichten.
Al-Hinai hält die Rede von Claudia Roth für einen entscheidenden Faktor, der zur aktuellen Gesetzesänderung geführt habe. „Die omanische Regierung, insbesondere der Sultan, legen großen Wert auf ihr positives Image in Punkto Frauenrechte“, sagt Hinai.
Sie hat aber auch Kritik an den Deutschen: „Am nächsten Tag hat mich die Botschaft angerufen und gefragt, ob ich Schwierigkeiten bekommen hätte. Ich sagte ihnen, es gehe mir gut, aber ich würde gerne zur Botschaft kommen und mich dort treffen. Aber sie schienen meinen Standpunkt nicht zu verstehen. Natürlich hatte ich bereits einen Besuch vom Staatsschutz bekommen, aber das konnte ich nicht sagen, weil Telefone von Aktivisten abgehört werden.“ Botschaftsmitarbeiter gaben ihr erst Wochen später einen Termin.
Heute lebt Habiba Al-Hinai im deutschen Exil. Sie ist nicht sehr zuversichtlich, dass die Regierung im Oman nach der Gesetzesänderung ihr Versprechen zur Aufklärung einlösen wird. Das Thema bleibt heikel und angesichts der Repression jeglichen zivilgesellschaftlichen Engagements gibt es auch keine Frauen- und Menschenrechtsgruppen, die ihrerseits in der Bevölkerung aufklären könnten. Aber immerhin: „Ich bin überrascht und froh, dass die Bestrafung (für FGM) relevant ist“, sagt Al Hinai. Das Gesetz sieht eine Strafe von sechs Monaten bis drei Jahren vor.
Hannah Wettig leitet seit 2013 die Kampagne Stop FGM Middle East für den deutsch-irakischen Vereins Wadi e.V.