Über notwendige Kritik an Mesut Özil und manchen seiner Kritiker

Von Alex Feuerherdt

Angesichts der Debatte um den Rücktritt des deutschen Fußball-Nationalspielers Mesut Özil könnte man bisweilen den Eindruck gewinnen, dass es nicht angeht, sowohl die rassistischen Feindseligkeiten gegenüber dem Kicker als auch dessen Wahlkampfhilfe für den türkischen Despoten Erdoğan zu kritisieren. Dabei ist beides möglich und notwendig. Gleichzeitig ist mancherlei Kritik reichlich bigott.

Über notwendige Kritik an Mesut Özil und manchen seiner KritikerSeit Mesut Özil am Sonntag in einer dreiteiligen Erklärung seinen Rücktritt aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bekannt gegeben hat, ist die Angelegenheit in den deutschen Medien das Topthema. Selbst die heilige Tagesschau bestritt am Montagabend den ersten Teil ihrer Hauptsendung mit dieser Causa, die überaus stark polarisiert, auch und vor allem in den sozialen Netzwerken. Es ist das erste Mal, dass ein deutscher Nationalspieler seine Demission damit begründet, ihm seien „Rassismus und Respektlosigkeit“ widerfahren – auch auf höchster Ebene, nämlich vonseiten des Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Reinhard Grindel. Diesem wirft Özil vor, sich bereits vor vielen Jahren als Politiker feindlich gegenüber Migranten verhalten und ihn nun aufgrund seiner türkischen Wurzeln zum alleinigen Sündenbock für das schlechte Abschneiden des DFB-Teams bei der Weltmeisterschaft in Russland erklärt zu haben. „In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren“, schreibt der 29-Jährige, der als Sohn türkischer Einwanderer in Gelsenkirchen geboren wurde und aufwuchs.

Gänzlich unkritisch sieht Özil, der 92 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft absolviert hat und mit ihr 2014 Weltmeister wurde, dagegen weiterhin das Foto mit dem türkischen Despoten Recep Tayyip Erdoğan, für das er sich im Mai, mitten in dessen Wahlkampf, zur Verfügung gestellt hatte. „Das Bild, das wir gemacht haben, hatte keinerlei politische Absichten“, sagt er nun, es sei ihm lediglich darum gegangen, „das höchste Amt des Landes meiner Familie zu respektieren“. Für ihn habe es „keine Rolle gespielt, wer der Präsident war, sondern dass es der Präsident war“. Er verstehe zwar, dass das „vielleicht schwer nachzuvollziehen ist“, da „in einigen Kulturen ein politischer Führer nicht getrennt von der Person betrachtet werden“ könne. Aber in diesem Fall sei das anders: „Was auch immer das Ergebnis der letzten Wahlen gewesen wäre oder der Wahlen davor, ich hätte das Bild trotzdem gemacht.“

Zahlreiche deutsche Medien stellen in ihren Analysen und Kommentaren zu Özils Erklärung je nach politischer Vorliebe entweder den Rassismus gegenüber dem Spieler oder dessen Wahlkampfhilfe für Erdoğan in den Mittelpunkt. Das jeweils andere Thema ist dann allenfalls eine Randnotiz. Das ist bedauerlich, denn kritikwürdig ist beides, zumal es sich überhaupt nicht ausschließt. In Deutschland leben viele Zuwanderer und Allochthone unter Bedingungen, die geprägt sind von einem religiös-nationalistischen Autoritarismus im Herkunftsland beziehungsweise im Elternhaus auf der einen Seite und einem überaus großen Anpassungsdruck sowie einer zwischen Feindseligkeit, Kulturrelativismus und Nützlichkeitserwägungen oszillierenden Haltung großer Teile der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf der anderen. Während Erdoğan den in Deutschland lebenden Türken und Türkeistämmigen einschärft, Assimilation sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, und ihnen über Verbände wie die Ditib und Millî Görüş seine Lesart des Islam aufzwingen will, wird unter „Integration“ zumeist nichts anderes verstanden als die Beseitigung aller sichtbaren Spuren der Herkunft sowie die Dienstbarmachung für Deutschland. 

 

Die Versäumnisse des größten Sportfachverbands der Welt

Über notwendige Kritik an Mesut Özil und manchen seiner Kritiker
Quelle: Von Christian Walitzek, Oliver Bender PAN.STREAM, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5828991

Wer mitbekommen hat, wie und warum Mesut Özil im Laufe der Weltmeisterschaft, insbesondere aber nach dem Vorrundenaus zum Sündenbock für das historisch schwache Abschneiden der deutschen Mannschaft bei einer WM gemacht wurde – in den sozialen Netzwerken, in Teilen der Medien (allen voran von der Bild-Zeitung), von Grindel und dem Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff –, wird schwerlich behaupten können, dass da sachlich fundiert und ohne Ressentiments argumentiert wurde. Der DFB hat es nach dem Erdoğan-Foto erst versäumt, sich zu positionieren, er hat Özil schweigen lassen, offenbar in der Annahme, dass der erwartete sportliche Erfolg das Problem schon vergessen machen würde. Als dieser Erfolg dann ausblieb und sich eine rassistische und nationalistische Anti-Stimmung gegen Özil Bahn brach, die sich nicht einmal mehr zum Schein mit dem Foto legitimierte, sondern ganz zu sich selbst kam, hat der Verband das unwidersprochen geschehen und den Spieler am Ende sogar fallen lassen. Was für ein Armutszeugnis für den größten Sportfachverband der Welt.

Wenn Mesut Özil nun beklagt, gewissermaßen zum Deutschen auf Bewährung gemacht worden zu sein, mit dem sich der DFB und die autochthone Mehrheitsgesellschaft schmücken, wenn es läuft und er sich wunschgemäß verhält – und dem die Zugehörigkeit aberkannt wird, sobald der Erfolg ausbleibt und er Anlass zur Kritik bietet, dann gibt er damit nicht nur einen Einblick in seine eigene Lebensrealität, sondern auch in die vieler anderer deutscher Staatsbürger, deren familiäre Herkunft keine deutsche ist. Özil kritisiert in diesem Zusammenhang nicht nur den DFB-Präsidenten, sondern nennt auch weitere Beispiele für den Rassismus, der ihm während der WM persönlich widerfahren ist: Der hessische SPD-Stadtrat Bernd Holzhauer kommentierte ein Foto der Nationalmannschaft mit den Worten „25 Deutsche und zwei Ziegenficker“; der Münchner Theaterchef Werner Steer schrieb auf Twitter, an Özil gerichtet: „Verpiss dich nach Anatolien!“ Nach dem verlorenen Spiel gegen Südkorea wurde der Spieler zudem von einem Zuschauer als „Türkenschwein“ beleidigt.

 

Das Foto mit Erdoğan war keineswegs selbstverständlich

Über notwendige Kritik an Mesut Özil und manchen seiner KritikerGleichwohl ist es keinerlei Widerspruch, Özil gegen jede Form des Rassismus in Schutz zu nehmen und ihn gleichzeitig für sein Foto mit dem Rassisten und Antisemiten Erdoğan zu kritisieren. Zumal Özils Begründung für diese Aktion keineswegs so selbstverständlich ist, wie er es nahelegt. Emre Can etwa, auch er ein deutscher WM-Teilnehmer mit türkischem Familienhintergrund, hatte ebenfalls eine Einladung zum PR-Termin mit dem türkischen Autokraten erhalten, bei dem das Bild entstand. Anders als Özil und dessen Nationalmannschaftskollege Ilkay Gündoğan blieb er dem Treffen jedoch fern.

Auch der in Deutschland geborene und lebende Profiboxer Ünsal Arik, der seine Kämpfe für die Türkei bestreitet, hält es nicht für ein gebotenes, unpolitisches Zeichen von Respekt vor dem höchsten Amt des Landes seiner Familie, sich mit dem Staatspräsidenten ablichten zu lassen, egal, wer dieses Amt gerade bekleidet. Im Interview der FAZ sagt er: „Das hieße ja, der Präsident darf alles machen, unschuldige Leute einsperren, Kriege führen, und ich muss ihn immer unterstützen? Selbstverständlich kann man sich auch als Türke weigern, sich mit so einem bösen Menschen zu treffen.“ In Deutschland lebten mehr als eine Million türkische Wähler, so Arik weiter, „und es hat direkte Auswirkungen auf das Leben der Menschen in der Türkei, wenn ein deutscher Nationalspieler Erdoğan im Wahlkampf unterstützt“. Özil verstehe „immer noch nicht, was er getan hat“. Er habe „einem Menschen im Wahlkampf geholfen, dem Blut an der Hand klebt“. 

Gleichzeitig ist ein Teil der diesbezüglichen Kritik an Özil ausgesprochen wohlfeil und bigott. Die Bundesministerin und stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner beispielsweise schreibt auf Twitter allen Ernstes: „Ist es wirklich Rassismus, wenn man die Unterstützung eines Diktators beklagt, der die Presse- und Meinungsfreiheit einschränkt? Oder ist es nicht Rassismus, reflexhaft die Kritik an der Diktatorunterstützung als deutschen Rassismus abzutun?“ Die Antwort ist simpel: Nein, weder das eine noch das andere ist Rassismus. Es hat auch niemand behauptet, die Kritik an der Unterstützung Erdoğans sei rassistisch. Schwerer wiegt jedoch etwas anderes: Da wird die Unterstützung Erdoğans ausgerechnet von einem Mitglied jener Bundesregierung kritisiert, die weiterhin Rüstungsgüter in die Türkei liefert und deren Regierung dafür bezahlt, Flüchtlinge abzuhalten. Unter diesem Aspekt hat der deutsche Fußballer Mesut Özil also nichts getan, was verantwortliche deutsche Politiker nicht auch tun. Das macht es nicht besser – aber man sollte es auch nicht vergessen zu erwähnen.

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