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Erdogans Wüten aus der Echokammer

Sinnbild für die heutige Türkei: Erdogan spricht vor dem neuen Präsidentenpalast in Anakara. (© imago images/Depo Photos)
Sinnbild für die heutige Türkei: Erdogan spricht vor dem neuen Präsidentenpalast in Anakara. (© imago images/Depo Photos)

Wäre die Türkei noch ein Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz, würde Osman Kavala nicht seit vier Jahren im Gefängnis sitzen.

Ulrich von Schwerin, Neue Zürcher Zeitung

Zwar betont Erdogan gerne die Unabhängigkeit der Gerichte und weist Kritik an dem Vorgehen gegen Kavala als unzulässige Einmischung in die Justiz zurück. Doch hat Erdogan selbst in seinen Reden nie ein Hehl daraus gemacht, dass er Kavala für schuldig im Sinne der Anklage hält. Auch glaubt kaum ein Beobachter, dass die Justiz bei Kavala oder in anderen politisch brisanten Fällen tatsächlich unabhängig agiert. Dafür ist die Justiz in der Türkei zu sehr politisiert, und die Richter und Staatsanwälte sind viel zu eingeschüchtert. (…) Wäre die Türkei tatsächlich noch ein Rechtsstaat, wäre es nie zur Anklage gegen Kavala gekommen. (…)

Seit dem Wechsel zum Präsidialsystem und der Abschaffung des Amts des Ministerpräsidenten 2018 liegt alle Macht beim Präsidenten. Durch die Schwächung des Parlaments und die Liquidierung einer kritischen Presse gibt es kaum noch Korrekturinstanzen. Zugleich hat sich Erdogan in seinem Palast zunehmend isoliert. Umgeben von einem kleinen Kreis loyaler Berater, ist er für Außenstehende kaum noch zu erreichen.

Abweichende Meinungen und Einwände von Diplomaten, Ökonomen, Militärs und anderen Fachleuten bekommt der Präsident nur noch selten zu hören. Einsprüche des Auslands tut er routiniert als Verschwörung gegen die Türkei ab, und Kritik der Opposition kommt für ihn der Unterstützung des Terrorismus gleich. Der Mann, der noch nie besonders offen für Widerworte war, lebt heute in seiner eigenen Echokammer, weitgehend entrückt von den sozialen, politischen und ökonomischen Realitäten seines Landes.

(Aus dem Artikel „Erdogan lenkt im Streit um Osman Kavala vorläufig ein, doch wirft der Fall weiter Fragen auf“, der von der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wurde.)

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