Warum die Türkei nicht mit Russland brechen wird

Ein russisches U-Boot passiert im November 2021 den Bosporus in der Türkei. (© imago images/ITAR-TASS)
Ein russisches U-Boot passiert im November 2021 den Bosporus in der Türkei. (© imago images/ITAR-TASS)

Ob die Türkei russischen Kriegsschiffen die Passage des Bosporus verweigern könnte, ist eine rein theoretische Frage: Sie kann sich einen Bruch mit Putin nicht leisten.

Schon im Vorlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine richteten aufmerksame Beobachter ihren Blick auf den Bosporus, als mehrere russische Schiffe und U-Boote die Meerenge in Istanbul auf dem Weg von Syrien ins Schwarze Meer passierten. Die Türkei, so forderte ein hochrangiger amerikanischer Ex-Militär, habe jede Menge gute Gründe, der russischen Marine die Fahrt durch den Bosporus und die Dardanellen zu untersagen.

Die Schifffahrt an der strategisch wichtigen Wasserstraße wurde im Vertrag von Montreux im Jahr 1936 geregelt. Er beinhaltet u. a. detaillierte Bestimmungen über die Durchfahrtsrechte von Kriegsschiffen. Für Nichtanrainerstaaten gelten besondere Begrenzungen bezüglich der Größe der Schiffe und ihrer Aufenthaltsdauer im Schwarzen Meer. Im Kriegsfall kann die Türkei nach eigenem Ermessen Kriegsschiffen die Durchfahrt gestatten oder aber verweigern.

Genau von diesem Recht Gebrauch zu machen und russischen Kriegsschiffen die Passage des Bosporus zu untersagen, fordert der ukrainische Botschafter in der Türkei. Diese verweist als Reaktion darauf, dass sie die Meerenge zwar in der Tat für kriegführende Staaten sperren könne, doch beziehe sich das nur auf Nichtanrainerstaaten. Russland ist aber ein Anrainerstaat des Schwarzen Meeres – und deshalb sei die Sache mit russischen Kriegsschiffen anders gelagert.

Ob die Türkei nun gemäß dem Vertrag von Montreux das Recht hätte, russischen Kriegsschiffen die Durchfahrt zu verweigern, ist allerdings eine rein theoretische Frage: Selbst wenn sie es dürfte, wird sie es nicht tun. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat zwar die russische Invasion als Bruch des Völkerrechts verurteilt, aber davon abgesehen steht für die Türkei viel zu viel auf dem Spiel, um sich einen Bruch mit Putin leisten zu können. Wirtschaftlich ist das Land von Russland abhängig, von dem es rund die Hälfte seines Erdgases, 40 Prozent seines Erdöls und drei Viertel des benötigten Weizens importiert.

Darüber hinaus ist die Türkei mit Blick auf Syrien gezwungen, sich mit Russland zu arrangieren, droht ihr andernfalls doch, dort gewissermaßen mit den eigenen Waffen geschlagen zu werden: Die Drohung mit Flüchtlingswellen hat Erdogan in den vergangenen Jahren immer wieder benutzt, um die Europäische Union unter Druck zu setzen. Genau dieser »Waffe« könnte sich Russland auch in Syrien bedienen. Mit Angriffen auf die von pro-türkischen Islamisten kontrollierte Provinz Idlib könnte die russische Armee eine massive Flüchtlingswelle in Richtung Türkei auslösen, die heute schon mehr als dreieinhalb Millionen Syrienflüchtlinge beherbergt.

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