Nach der Ausschaltung des Parlaments durch den tunesischen Präsidenten richtet sich sein nächster Schlag gegen die Judikative.
Die Krise in Tunesien nahm letzten Sommer ihren Anfang, nachdem Kais Saied, der 2019 zum Präsidenten gewählt wurde, entschieden hatte, per Dekret zu regieren. Um die politischen Unruhen in den Griff zu bekommen, beschloss Saied Ende März die Auflösung des Parlaments, nachdem es gegen seine Entscheidung zur Ausschaltung demokratischer Institutionen entschieden hatte. Die Opposition bezeichnete diesen Schritt als »eine neue Phase der autoritären Herrschaft«.
Zur Eskalation kam es, als Saied im Mai ein Dekret zur Einsetzung einer »Nationalen Beratungskommission für die neue Republik«, die eine neue Verfassung für das Land ausarbeiten sollte, erlassen hatte, ohne die politischen Parteien miteinzubeziehen. Damit entzog er, der selbst Verfassungsrechtsprofessor ist, dem Parlament jegliche Mitbestimmung bei der Verfassungsgebung.
Die neue Verfassung soll vor den nächsten Wahlen im Dezember dieses Jahres ausgearbeitet sein. Zeitgleich kündigte er an, dass bei den Wahlen nur noch über einzelne Personen, nicht aber über Listen oder Parteien abgestimmt werden dürfe, womit Saied die demokratischen Rechte drastisch beschnitt.
Auch seine Entscheidung, die Zusammensetzung der Unabhängigen Wahlkommission nach seinen persönlichen Vorstellungen zu ändern, empörte die Opposition. »Was hier geschieht, ist eine Verhöhnung des Volkes und die Errichtung einer Diktatur«, kritisierte Abeer Moussa, der Vorsitzende der Freien Verfassungspartei.
Ausschaltung der Judikative
Nun ist Kais Saied einen Schritt weiter gegangen in Richtung Ausschaltung der Demokratie und hat 57 Richter und Staatsanwälte entlassen, wie am Mittwoch offiziell bekanntgegeben wurde. Eine diesbezügliche Namensliste wurde im Amtsblatt veröffentlicht.
Der Präsident bezichtigte sie der Korruption und der Beihilfe und des Schutzes von Angeklagten in Terrorismusfällen. Zu den Betroffenen zählen der frühere Sprecher der Sonderermittlungseinheit für Finanz- und Terrorverbrechen sowie der ehemalige tunesische Oberstaatsanwalt und der frühere Vorsitzende des Kassationsgerichts von Tunis. Schon vor Monaten hatte Saied in einer Kabinettssitzung angekündigt, Maßnahmen zur »Säuberung der Justiz« treffen zu wollen.
Die Entscheidung des Präsidenten wird von Regierungskritikern als »politisch motiviert« bezeichnet.