Zwei Tunesier wegen Homosexualität zu Gefängnis verurteilt

Demonstranten am Nationalen Frauentag Tunesiens fordern die Entkriminalisierung der Homosexualität
Demonstranten am Nationalen Frauentag Tunesiens fordern die Entkriminalisierung der Homosexualität (© Imago Images / ZUMA Press)

In Tunesien sind zwei junge Männer, die wegen Homosexualität angeklagt waren, in einem Berufungsverfahren vor einem Gericht in der Stadt Kef zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Das meldet die französische Nachrichtenagentur AFP.

In erster Instanz waren sie zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Homosexualität ist in Tunesien eine Straftat. Das deutsche Auswärtige Amt warnt Reisende: „Gleichgeschlechtliche Sexualbeziehungen sind verboten und können in Tunesien strafverfolgt werden. Vermeiden Sie Zeichen der Zuneigung in der Öffentlichkeit.“

In Artikel 230 des tunesischen Strafgesetzbuchs, das 1913, zur Zeit des französischen Protektorats, verabschiedet wurde, heißt es:

„Sodomie wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bestraft, wenn sie nicht in einen der in den vorhergehenden Artikeln vorgesehenen Fälle passt.“

„Sodomie“ ist der Begriff, der in der französischen Fassung des Strafgesetzbuchs benutzt wird, in der arabischen ist von „Homosexualität“ die Rede. Der zweite Teil des Satzes bedeutet, dass dies die Strafe ist, wenn keine sonstige Straftat begangen wurde, es sich also um eine einvernehmliche Beziehung unter Erwachsenen handelt.

Die beiden angeklagten Männer im Alter von 27 Jahren waren Anfang Juni in Kef, einer Stadt im ländlichen Nordwesten Tunesiens, festgenommen worden, nachdem einer von ihnen bei der Polizei eine Beschwerde gegen den anderen vorgebracht hatte, bei der es um Schulden ging. Das teilte die Menschenrechts-NGO Damj, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzt, gegenüber AFP mit.

Polizisten bedrängten die beiden Männer, ihre Homosexualität zu „gestehen“. Weil die beiden Angeklagten sich weigerten, sich einem „Analtest“ zu unterziehen, sah das Gericht, wie schon die Vorinstanz, die „Schuld“ der Angeklagten als bewiesen an. Bei diesem „Test“ handelt es sich um eine pseudomedizinische Prozedur, mit der ein Arzt angeblich feststellen kann, ob jemand Analverkehr hatte; eine Annahme, für die es keine wissenschaftliche Basis gibt.

Laut dem UN-Komitee gegen Folter, dem UN-Sonderberichterstatter gegen Folter und der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierung handelt es sich um eine „medizinisch wertlose Praxis“, die gegen das Verbot von Folter und Misshandlung verstößt. Die tunesische Regierung hatte 2017 versprochen, die Praxis zu beenden, was aber, wie man sieht, nicht geschehen ist.

Immer wieder Verurteilungen

Immer wieder kamen in den letzten Jahren aus Tunesien Berichte über Verhaftungen von homosexuellen Männern.

Im September 2015 nahm die Polizei in der 130 km südlich von Tunis gelegenen Stadt Sousse einen Mann, dem Menschenrechtler und Journalisten das Pseudonym „Marwan“ gegeben haben, mit auf die Polizeiwache, weil man seine Telefonnummer auf dem Mobiltelefon eines Mordopfers gefunden hatte. Bei dem folgenden Verhör ging es aber nicht mehr um den Mord, sondern um die „Marwan“ unterstellte Homosexualität. Er wurde zu einem „Analtest“ gezwungen und auf Grundlage des „Ergebnisses“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ein Berufungsgericht reduzierte die Strafe auf zwei Monate.

In der Stadt Kairouan, 150 km südwestlich von Tunis, wurden 2015 sechs Männer, die offenbar von einem Nachbarn angezeigt worden waren, verhaftet, zwangsweise „Analtests“ unterzogen und zu Haftstrafen von drei Jahren verurteilt. Zudem wurde ihnen auferlegt, Kairouan nach ihrer Haftentlassung für fünf Jahre nicht zu betreten. Nach einem Monat Haft wurden sie auf Bewährung freigelassen, der Bann wurde ebenfalls aufgehoben. Obwohl diese Männer die Haftstrafe nicht verbüßen mussten, zu der sie zunächst verurteilt worden waren, waren sie doch im Gefängnis und gelten seither als vorbestraft.

Präsident gegen Entkriminalisierung

Im Juni 2018 empfahl der vom damaligen Präsidenten Beji Caid Essebsi 2017 eingesetzte Ausschuss für individuelle Freiheiten und Gleichstellung (Colibe) in einem Bericht eine Reihe von gesellschaftlichen Reformen, darunter Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen in Fragen der Erbschaft und die Entkriminalisierung von Homosexualität.

Auf der Grundlage dieses Berichts legten 16 Abgeordnete im Oktober 2018 im Parlament einen Gesetzesentwurf vor, der insbesondere das Verbot aller Formen von Diskriminierung und die Streichung von Artikel 230 des Strafgesetzbuchs vorsah. Doch der derzeitige tunesische Präsident Kais Saïed lehnt eine Debatte über die Entkriminalisierung von Homosexualität ab. In einem Interview im September 2019 sagte er: „Die Leute sterben an Hunger und wir reden über Homosexualität!“

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