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Tunesiens junge Demokratie am Rande des Zusammenbruchs

Der Führer der islamischen Ennahda-Bewegung, Rashid al-Ghannouchi (li.), auf einer Demonstration in Tunis
Der Führer der islamischen Ennahda-Bewegung, Rashid al-Ghannouchi (li.), auf einer Demonstration in Tunis (© Imago Images / ZUM Wire)

Zehn Jahre nach dem Ausbruch der den gesamten Nahen Osten inspirierenden Revolution scheint die tunesische Demokratie mehr denn je bedroht.

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die erstickende politische Krise Tunesiens könnten gar zum Zusammenbruch der demokratischen Institutionen führen. In dieser aktuellen politischen Krise hat die mit der Muslimbruderschaft verbundene Ennahda-Bewegung die wohl bedeutendste Rolle gespielt, da sie die Partei ist, die seit 2012 ständig an der Regierung beteiligt ist.

Wohin geht die Reise in Tunesien? Das ist eine Frage, die die Tunesier selbst sich noch vor den Experten und Thinktanks stellen. Alle sind der ratlos angesichts dieser in der Geschichte des tunesischen Staates seit seiner Unabhängigkeit beispiellosen politischen Krise, und die langwierigen politischen Unruhen verstärken eine komplexe Wirtschaftskrise, die das Land an den Rand des Bankrotts bringt.

Politische Turbulenzen

Es ist ein komplexes Geflecht an Problemen, das zu der aktuellen Situation geführt hat. Auf der politischen Ebene hat der Bruch zwischen den drei Institutionen, dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament, die Linie des „No Return“ („Es gibt kein zurück“) erreicht, wenn nicht überschritten.

Der Parlamentspräsident und Führer der Ennahda-Bewegung, Rashid al-Ghannouchi, und der Premierminister, Hichem Mechichi, stehen gemeinsam gegen den Präsidenten des Landes, Kais Saied, und beschuldigen ihn, „Tunesien einer Ein-Mann-Herrschaft unterwerfen und die Kontrolle über die politischen Institutionen an sich ziehen“ zu wollen. Der Vorwurf rührt vor allem von Saieds Weigerung her, eine von der Ennahda-Bewegung unterstützte Regierungsumbildung zu genehmigen, weil er glaubt, die vorgeschlagenen Minister seien der Korruption verdächtig.

In der Tat unternahm Saied vor zwei Wochen einen Schritt, der die Lage weiter eskalierte, als er verkündete, dass sich seine verfassungsmäßige Kontrolle des Militärs auch auf die inneren Sicherheitskräfte erstrecke, was einen Sturm der Kritik auslöste.

Auf der anderen Seite wirft Saied der Ennahda vor, dass sie versuche, ihn zu entmachten, die beiden Präsidien des Parlaments und der Regierung zu kontrollieren. Habe sie das erreicht, Saied wolle sie in einem nächsten Schritt das politische Leben im Land beherrschen und ihre islamische Ideologie durchsetzen, weshalb er an seiner Macht festhalte und versuche, die Bewegung daran zu hindern, ihre Ziele zu erreichen.

Am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs

Abseits dieser politischen Krise befindet sich Tunesien am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und versucht, einen Kredit vom Internationalen Währungsfonds zu erhalten, um das Haushaltsdefizit zu reduzieren.

Das tunesische Budget für 2021 sieht einen Kreditbedarf von 6 Milliarden Dollar vor, davon etwa 4,2 Milliarden Dollar in ausländischen Krediten und 2,2 Milliarden Dollar auf dem lokalen Markt. Die in diesem Jahr fälligen Schuldenrückzahlungen werden auf 16 Milliarden tunesische Dinar (4,85 Milliarden Euro) geschätzt, gegenüber 11 Milliarden Dinar im Jahr 2020. Die tunesische Wirtschaft schrumpfte im Jahr 2020 um 8,8 %, da die COVID-19-Pandemie wichtige Sektoren wie den Tourismus zusätzlich beeinträchtigte.

Die Rolle der Ennahda-Bewegung

Der tunesische Experte Youssef Charni sagte gegenüber Mena-Watch, dass „die komplexe Krise in Tunesien durch den Kampf zwischen den verschiedenen Kräften um die Positionierung in der politischen Szenerie des Landes verursacht wird.“ „Die Krise hat sich nicht zuletzt aufgrund der Politik der Ennahda-Bewegung entwickelt, die seit 2012 die wichtigste Regierungspartei oder zumindest an der Regierung beteiligt ist“, sagte er.

Charni erklärt: „Ennahda ist weniger am nationalen Wohl des Landes oder seiner Entwicklung interessiert. Vielmehr strebt sie danach, in der politischen Szene Einfluss und Macht zu gewinnen, um das Bild und die Struktur der Gesellschaft zu verändern.“ „Die lokalen Praktiken der Bewegung zeigen ihre Grundausrichtung, die sich in ihren Tendenzen nicht von der Muslimbruderschaft in anderen Teilen der Welt unterscheidet“, fuhr er fort

Der tunesische Experte sagte, dass „die Ennahda-Bewegung mittlerweile die leitenden Positionen in den politischen Institutionen besetzt hat, die Justiz kontrolliert und daran arbeitet, Spuren im Zusammenhang mit politischen Morden zu verwischen“. Gleichzeitig versuche sie, die drei regierenden Institutionen zu kontrollieren und den Präsidenten, der keine islamische Ideologie vertritt, abzusetzen.

Gibt es eine Lösung?

Der Tunesien-Experte Charni glaubt, dass die derzeitige Situation „darauf hindeutet, dass keine Lösung in Sicht ist, da jede Partei an ihrer Position festhält, insbesondere die Ennahda-Bewegung, die die Macht an sich reißen und nicht nachgeben will, aus Angst, für ihre politische Deckung für Terrorgruppen zur Rechenschaft gezogen zu werden.“

Charni sagte jedoch auch: „Wenn die politischen Parteien sich entschließen, einige Zugeständnisse zu machen, dann ist die mögliche Lösung ein gesellschaftlicher Dialog, der zur Überarbeitung der Verfassung und des Wahlgesetzes führen muss, um dann vorgezogene Wahlen abzuhalten, die zu einem Ausweg aus der aktuellen Krise führen könnten.“

Die letzten tunesischen Wahlen im Jahr 2019 führten dazu, dass die Ennahda-Bewegung und ihr Verbündeter, die Koalition der Würde, das Parlament kontrollieren und deswegen dem unabhängigen Kandidaten Saied die Präsidentschaft in Tunesien gewähren konnten.

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