Präsident Saied wäre nicht der erste Präsident, der in Tunesien aus dem Amt gejagt würde. Noch scheint ihn die junge Generation aber zu unterstützen.
Sarah Mersch, Neue Zürcher Zeitung
Wirklich verlässliche Umfragen, die zeigen, wie die Bevölkerung heute zu Kais Saied steht, gibt es nicht. Doch in den vergangenen Wochen fanden erste Demonstrationen gegen die Alleinherrschaft des Präsidenten statt. Der Ton zwischen seinen Anhängern und Gegnern wurde schärfer. In den sozialen Netzwerken werden Gegner Saieds teilweise aggressiv angegangen. Wer dem Präsidenten kritisch gegenübersteht, sagt das daher nicht unbedingt laut. (…)
Eine Arbeit zu bekommen, irgendwie einen Fuß in die Tür des Systems zu schieben, das ist auch zehn Jahre nach dem politischen Umbruch in Tunesien für viele junge Leute eine Herausforderung. Selbst für diejenigen, die studiert haben. Die Privatwirtschaft ist nach einer Revolution, nach Terroranschlägen, ausbleibenden Investitionen und der Pandemie am Boden. Der Beamtenapparat ist aufgebläht. Trotzdem hoffen nach wie vor viele junge Frauen und Männer auf den «Nagel in der Wand», wie es in Tunesien heißt: eine Stelle im Staatsdienst. Diese ist nicht unbedingt herausfordernd, besonders interessant oder gut bezahlt, aber zumindest sicher. (…)
Die große Mehrheit der jungen Leute unterstützt Kais Saied bis heute. Doch die junge Generation, die mit der Revolution politisch groß geworden ist, hat auch ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Viele werden nicht müde zu betonen, dass sie bereit seien, einen neuen Diktator zu verjagen. So, wie sie es einst mit Ben Ali gemacht hätten. Ob Kais Saied dieser Generation nicht nur Hoffnung geben, sondern ihr auch konkrete Perspektiven aufzeigen kann, dürfte für seine politische Zukunft ein entscheidendes Element sein.
(Aus dem Artikel „‚Viel schlimmer hätte es nicht werden können‘ – warum junge Tunesier weiter zu Kais Saied halten“, der von der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wurde.)