Der tunesische Präsident Kais Saied erklärte am Mittwoch, er werde per Dekret regieren und Teile der Verfassung außer Kraft setzen, um das politische System zu ändern.
Tarek Amara / Angus Mcdowall, Reuters
Saied hat seit dem 25. Juli fast die gesamte Macht inne, als er den Premierminister entließ, das Parlament auflöste und die Exekutivgewalt übernahm, wobei er sich auf den nationalen Notstand berief – was seine Gegner als Staatsstreich bezeichneten.
Präsident Saieds Intervention hat die demokratischen Errungenschaften der tunesischen Revolution von 2011 untergraben, die die autokratische Herrschaft beendet und den Arabischen Frühling ausgelöst hatte, obwohl Saied selbst versprochen hatte, die vor einem Jahrzehnt gewonnenen Freiheiten zu bewahren. Im Laufe der Wochen wurde der Druck von tunesischen Politikern und westlichen Gebern auf Saied immer größer, einen Premierminister zu ernennen und zu erklären, wie er die Krise überwinden will.
Die am Mittwoch angekündigten neuen Maßnahmen gehen allerdings noch weit über die im Juli unternommenen Schritte hinaus: Saieds verööfentlichte nun im Amtsblatt eine Verordnung, die das politische System Tunesiens umgestalten und dem Präsidenten nahezu unbegrenzte Macht verleihen würde. Die angekündigten Regelungen erlauben es ihm, per Dekret Gesetzestexte zu erlassen, das Kabinett zu ernennen und dessen politische Ausrichtung sowie grundlegende Entscheidungen ohne Einmischung festzulegen.
Das gewählte Parlament, das Saied im Juli durch eine höchst umstrittene Lesart der Verfassung außer Kraft gesetzt hat, bleibt nicht nur eingefroren, sondern seine Mitglieder erhalten auch keine Gehälter mehr. Außerdem wird ihnen die Immunität vor Strafverfolgung entzogen.
Saied setzte keine zeitliche Begrenzung für seine Machtergreifung fest, sagte aber, er werde einen Ausschuss ernennen, der dabei helfen soll, Änderungen an der Verfassung von 2014 auszuarbeiten, um „eine echte Demokratie zu schaffen, in der das Volk wirklich souverän ist“. Die Präsidentschaft erklärte, dass in der Zwischenzeit nur die Präambel der bestehenden Verfassung und all jene Klauseln in Kraft bleiben, die nicht im Widerspruch zu den von ihm ergriffenen exekutiven und legislativen Befugnissen stehen.
(Aus dem Artikel „Tunisian president moves to cement one-man rule“, der bei Reuters erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)