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Tunesien auf dem Weg zur Diktatur?

Sadok Belaid überreicht Tunesiens Präsident Kais Saied den neuen Verfassungsentwurf
Sadok Belaid, überreicht Tunesiens Präsident Kais Saied den neuen Verfassungsentwurf (© Imago Images / Xinhua)

Der tunesische Präsident Kais Saied setzt alles daran, sich als alleiniger Herrscher zu etablieren und das Land per Verordnung in eine Diktatur zu verwandeln.

Im Dezember 2010 brachen in Tunesien schwere Unruhen aus, als die Bevölkerung landesweit gegen die repressiven Verordnungen ihres damaligen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali protestierte. Ihr Kampf um die Demokratie weitete sich auf mehrere Länder im Nahen Osten aus und ging als Arabischer Frühling in die Geschichte ein.

Doch die Hoffnungen auf ein demokratisches System und die Befreiung von autoritären Regimen erfüllten sich nicht. Ganz im Gegenteil wird Tunesien heute von einem Präsidenten regiert, der sukzessive alle demokratischen Institutionen ausschaltet und eine von ihm diktierte Verfassung durchsetzen will, die ihm mehr oder weniger uneingeschränkte Befugnisse einräumt.

Schritt für Schritt …

Schon 2014 hat Kais Saied die gültige Verfassung außer Kraft gesetzt. Im März dieses Jahres ging er einen Schritt weiter und löste das demokratisch gewählte Parlament auf, um das Land per Dekret zu regieren. Einen Monat später entließ Saied 57 Richter und Staatsanwälte, die er der Korruption bezichtigte.

Damit nicht genug, präsentierte Saied vorige Woche einen Verfassungsentwurf, der ihm die Möglichkeit einräumt, das Land quasi im Alleingang zu beherrschen. Der Entwurf, der im tunesischen Amtsblatt veröffentlicht wurde, enthält einen Passus, der es dem Präsidenten erlaubt, »im Falle einer drohenden Gefahr seine Amtszeit zu verlängern«.

… in ein diktatorisches Regime

Sadok Belaid, ehemaliger Verfassungsrechtsprofessor und Leiter des Verfassungsausschusses, äußerte seine Bedenken und kritisierte öffentlich den vorgelegten Entwurf, der seiner Meinung nach Kapitel enthalte, »die den Weg für ein schändliches diktatorisches Regime« ebnen könnten. Ursprünglich war Belaid von Saied beauftragt worden, eine neue Verfassung auszuarbeiten, doch der jetzige Entwurf habe »keine Ähnlichkeit mit dem ersten Entwurf«, wie er der Zeitung Assabeh mitteilte.

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit dem Islam, der in der früheren Verfassung als Staatsreligion festgelegt war. Saied möchte diesen Passus ändern, indem »nicht von einem Staat mit dem Islam als Religion« die Rede ist, sondern »von der Zugehörigkeit des Staates zu einer Umma, deren Religion der Islam ist«, erklärte Saied vor Journalisten.

Der Entwurf schlägt auch vor, im Parlament eine zweite Kammer als »Rat der Regionen« zu installieren, wobei nicht hervorgeht, welche Aufgaben dieser Rat haben soll.

Saied möchte auch das Verfassungsgericht dahingehend umgestalten, dass nur der Präsident berechtigt wäre, Richter zu ernennen. Damit würde, wie Sadok Belaid befürchtet, »die Unabhängigkeit der Gerichte untergraben«.

Ob die neue Verfassung umgesetzt wird, entscheidet der Präsident nach einem Referendum bis Ende Juli.

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