Immer aggressiver bricht die Türkei internationales Recht, um Ansprüche Gewässern vor Zypern durchzusetzen.
„Zypern ist das nationale Ziel der Türkei.“ Diesen bekannten Standpunkt türkischer Nationalisten hat der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar letzte Woche in einer Festansprache bekräftigt, just zur selben Zeit, als das türkische Forschungsschiff Barbaros in zypriotische Gewässer eindrang.
„Zypern, Zyprioten sind unsere Brüder, wir sind bereit, alles zu tun, um die Rechte und Interessen unserer zyprischen Brüder dort zu schützen“, sagte Hulusi Akar bei einem Empfang aus Anlass des „Tages der Streitkräfte der Türkischen Republik Nordzypern (TRNC)“ in Ankara. Bohraktivitäten im östlichen Mittelmeerraum seien „das Recht der Türkei“, so Akar. „Als Türkei und TRNC mit unseren Brüdern dort setzen wir unsere Arbeit im Einklang mit unseren Rechten und dem Völkerrecht fort und werden sie auch in Zukunft fortsetzen“, so Akar. Jede vorgeschlagene Lösung für Zypern und das östliche Mittelmeer, die die Türkei und die TRNC nicht beteilige, sei „zwecklos und nicht realisierbar“.
Bruch des Seerechts
Wie zypriotische Medien berichten, kreuzte das türkische seismische Forschungsschiff Barbaros am frühen Morgen des 30. Juli vor der Küste Zyperns, nachdem die Türkei zuvor ihre Gebietsansprüche vor der Ostküste Zyperns mit einem Navtex-Sender markiert hatte. Navtex (NAVigational TEXt Messages – früher auch als NAVigational Warnings by TEleX bezeichnet) dient in der Seefahrt weltweit zum Verbreiten von Sicherheits- und Wetterinformationen (Maritime Safety Information) und ist ein Teildienst des weltweiten Global Maritime Distress and Safety System (GMDSS).
Einige Tage zuvor hatte die Türkei eine weitere maritime Forschungsmission westlich von Zypern abgebrochen, nachdem sich die Spannungen gefährlich verschärft hatten. Anfang der Woche hatten die Republik Zypern und Griechenland gewarnt, dass Pläne des türkischen Forschungsschiffs Oruc Reis, Aktivitäten in von Griechenland und Zypern beanspruchten Gebieten durchzuführen, rechtswidrig seien. Sowohl die Türkei als auch Griechenland machten Kriegsschiffe bereit. Deutschen Medienberichten zufolge intervenierte die deutsche Bundesregierung und konnte eine Eskalation verhindern. Laut dem katarischen Medienkonzern Al-Jazeera hat Zyperns Regierung auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin gebeten, Ankara zur Zurückhaltung aufzurufen.
Die Türkei droht immer wieder damit, in Griechenland einzumarschieren oder griechische Inseln zu erobern. Im Mai 2019 führte die türkische Kriegsmarine ihr größtes Seemanöver der Geschichte durch, ein großer Teil davon spielt sich in der Nähe der Küste Zyperns ab.
Immer wieder auch dringen türkische Forschungsschiffe in die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) Zyperns ein. Nach Artikel 55 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ/UNCLOS) der Vereinten Nationen hat der jeweils angrenzende Staat in dieser Zone das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung, das gilt insbesondere für Fischfang und, wie im vorliegenden Fall, für dort etwaig lagernde Bodenschätze.
Die Türkei aber setzt sich über internationales Recht hinweg und beansprucht fast das gesamte Seegebiet um die Insel Zypern entweder für sich selbst oder für die TRN. Die größten Gasvorkommen finden sich in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ, auch „200-Meilen-Zone“) Ägyptens, Israels und der Republik Zypern. Diese haben untereinander Verträge über den Grenzverlauf abgeschlossen, die von der Türkei nicht anerkannt werden. Erdogan wiederum hat am 27. November 2019 mit der von ihm unterstützen libyschen Regierung in Tripolis ein Abkommen über eine angebliche gemeinsame Seegrenze zwischen der Türkei und Libyen geschlossen, das ignoriert, dass Kreta und andere Ägäisinseln zu Griechenland gehören. Griechenland und Zypern erklärten das Abkommen zwischen Ankara und Tripolis umgehend für „nichtig“; es verstoße gegen internationales Seerecht.
Ein Bewegungsprofil
Laut der Zeitschrift Wirtschaftswoche zeigen Transponderdaten, die die Wirtschaftswoche mithilfe des griechischen Anbieters MarineTraffic ausgewertet hat, dass die türkischen Forschungsschiffe Barbaros und Oruç Reis die zypriotischen Gewässer in den vergangenen Monaten „engmaschig“ erkundet haben.
„Beide Schiffe“, so die Wirtschaftswoche, „können die geophysische Beschaffenheit des Meeresbodens analysieren. Die Oruç Reis ist sogar mit einem Tauchroboter ausgestattet, der Proben bis in eine Tiefe von 1500 Metern nehmen kann.“ Sowohl die Oruç Reis als auch die Barbaros hätten den Daten zufolge nicht nur in den Gewässern Nordzyperns geforscht, sondern auch in denen, die zur EU gehören. Das gelte ebenso für die türkischen Bohrschiffe Yavuz und Fatih, die in den vergangenen Monaten beide innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone Zyperns aktiv gewesen seien, wie ihre Transponderinformationen zeigten.
Anschaulich dargestellt ist dies in einer Landkarte, die die Redaktion der Wirtschaftswoche auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse angefertigt hat. Das rote Viereck markiert die Grenzen der ausschließlichen Wirtschaftszone Zyperns, die orangefarbene Fläche die Tätigkeit der türkischen Forschungsschiffe.
Was macht ein Präsident Biden?
Der stellvertretende Sprecher der zyprischen Regierung, Panayiotis Sentonas, beschrieb Ankaras jüngste Aktion als ein weiteres Beispiel für das türkische Verhalten in der Region. „Die Türkei macht mit ihren Aktionen erneut ein angespanntes Klima in der Region noch angespannter und verletzt erneut die souveränen Rechte der Republik Zypern“, so Sentonas.
Eine weitere Eskalation droht nach den US-Präsidentschaftswahlen im November. Erdogan-treue türkische Kommentatoren machen immer wieder deutlich, dass sie den demokratischen Herausforderer Joe Biden für einen Feind der Türkei halten. Dafür sprechen ihrer Meinung nach ein Interview von Ende 2019, in dem Biden Erdogan als „Autokraten“ bezeichnete, die angeblich zögerliche Reaktion von US-Präsident Barack Obama und seinem Vize Joe Biden auf den Umsturzversuch in Ankara im Juli 2016 sowie die amerikanische Unterstützung für die syrischen Kurden und die paramilitärischen Verbände der YPG unter Präsident Obama.
Ob Biden als Präsident Schritte unternehmen würde, um die türkischen Vorstöße im Ostmittelmeer zu unterbinden, sei dahingestellt; für das Handeln der türkischen Regierung ist allein wichtig, wie sie Biden einschätzt. Wenn sie wirklich glaubt, dass Biden ihr das Leben schwerer machen wird, dann wird sie, sollte er die Wahlen am 3. November gewinnen, vielleicht versuchen, die Zeit bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar 2021 zu nutzen, um Fakten zu schaffen. Zumal sie angesichts der bislang weitgehend pazifistischen Außenpolitik Donald Trumps nicht erwarten wird, dass dieser sich in den letzten Wochen seiner Amtszeit noch in einen Krieg verwickeln lassen wollen wird.