Inzwischen hat die Säuberungswelle ein solches Ausmaß erreicht, dass sogar Erdogan meint, man könne nicht mehr unterscheiden, was Fleisch sei und was Fisch. ‚Macht Fehler, aber begeht keinen Verrat‘, hatte zuvor noch Ministerpräsident Binali Yildirim die Gouverneure ermutigt – eine kaum verhohlene Aufforderung, Fünfe gerade und den Rechtsstaat Rechtsstaat sein zu lassen. Nun sollen Beschwerdekommissionen eingerichtet werden, an die sich betroffene Staatsbedienstete wenden können. Kein Korrektiv hingegen bildet derzeit die Justiz. Schließlich würde jeder Staatsanwalt und jeder Richter, die im Zweifel für den Angeklagten entscheiden, es riskieren, selber als ‚Krypto-Gülenisten‘ verfemt zu werden. (…)
Ein anderer Aspekt hingegen ist selbst in der verbliebenen kritischen Öffentlichkeit kaum Thema: die Beschlagnahmungen und Enteignungen. Davon betroffen sind verhaftete Privatpersonen, deren Vermögen beschlagnahmt wird, aber auch Konzerne wie Koza-Ipek oder Boydak, die wegen der finanziellen Unterstützung einer Terrororganisation unter Zwangsaufsicht gestellt wurden. Offizielle Zahlen gibt es darüber nicht, doch dürfte es sich um die größte Enteignungswelle seit der Plünderung armenischer, griechischer und aramäischer Vermögen in der Endphase des Osmanischen Reiches und den Anfangsjahren der Republik handeln.“
(Deniz Yücel: „Putsch abgewehrt, der Rechtsstaat erledigt“)