Der Tod des Terror-Kommandeurs könnte einen Wendepunkt bedeuten: Chaos und Instabilität sind möglich – aber auch das Ende des Mullah-Regimes.
Clemens Wergin, Die Welt
Wer nun aber gleich die US-Regierung einer unverantwortlichen Eskalation bezichtigt, sollte sich an die Ereignisse des vergangenen Jahres erinnern, in dem der Iran seine Aggressionen kontinuierlich ausgeweitet hat. Tatsächlich hatte damals die Trump-Regierung mit großer Zurückhaltung auf iranische Attacken reagiert. Nachdem der Iran eine US-Drohne über dem Golf abgeschossen hatte, blies US-Präsident Donald Trump einen Vergeltungsschlag in letzter Minute ab, um hohe Opferzahlen zu vermeiden.
Auch auf die gravierenden Angriffe gegen saudische Ölanlagen hat die Ordnungsmacht nicht substanziell reagiert. Wie die Ereignisse der vergangenen Wochen gezeigt haben, hat diese Selbstbeschränkung den Iran nicht etwa besänftigt. Vielmehr fühlten sich die Mullahs dadurch offenbar ermuntert, ihre Attacken auszuweiten. Nach dem Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad durch mit dem Iran verbündete Milizen, der böse Erinnerungen an die Besetzung der US-Botschaft 1979 in Teheran hervorrief, musste der US-Präsident eine rote Linie ziehen, um dem Regime Grenzen aufzuzeigen. (…)
Trump jedenfalls hat erst einmal die Spielregeln in der Region verändert. Zunächst haben die USA die Scharade der Mullahs entlarvt, die gerne mit Klienten in der Region arbeiten, um die eigene Involviertheit leugnen zu können. Washington hat nun den Iran selbst für die Handlungen der von ihm kontrollierten Milizen im Irak verantwortlich gemacht. Das verändert Teherans Kalkulationen gleich in zweifacher Weise.
Erstens muss das Regime nun darauf gefasst sein, dass die Amerikaner schneller und schmerzhafter auf iranische Attacken regieren als im vergangenen Jahr. Zweitens müssen die Mullahs in Betracht ziehen, dass auch Angriffe ihrer Klienten auf US-Interessen von den Amerikanern mit Schlägen gegen iranische Ziele selbst beantwortet werden. Das sollte die Mullahs veranlassen, mehr Vorsicht walten zu lassen. Es ist also keinesfalls ausgemacht, dass Soleimanis Tod zu einem Krieg in der Region führen wird, wenn Teheran sich mit kleinen Vergeltungsaktionen begnügt. (…)
Nach anderthalb Jahrzehnten der machtvollen Expansion in der Region hat Teheran in den vergangenen Monaten erhebliche Rückschläge hinnehmen müssen. Der Tod Soleimanis markiert nun einen Wendepunkt, an dem beides möglich ist: noch mehr Chaos und Instabilität – oder ein Niedergang des Mullah-Regimes und seines destabilisierenden Einflusses in Nahost.“