Der von antiisraelischen Aktivisten diesen Monat durchgeführte »Marsch nach Gaza« war ein ziemlicher Schlag ins Wasser.
Wie Greta Thunbergs Segeltörn hätte der Marsch die Aufmerksamkeit der Welt auf sich ziehen sollen – was auch zum Teil gelang, aber anders als von den Organisatoren geplant. Ziel war gewesen, die Einheit der Welt im Kampf gegen Israel zu zeigen. Doch die Front verlief ganz anders als gedacht. Statt »den Zionisten« die Stirn zu bieten – die der lächelnden Greta Sandwiches gaben –, sahen sie sich einem Kordon von ägyptischen Polizisten gegenüber und wurden von Männern in Zivilkleidung verprügelt.
Die Gruppe hatte geplant, von Kairo aus mit Bussen nach El-Arisch, einer Stadt im Norden des Sinai, zu fahren. Anschließend wollte sie zu Fuß zur ägyptischen Grenze bei Rafah. Doch die ägyptischen Behörden ließen das nicht zu, was eigentlich keine Überraschung hätte sein sollen. In den Reise- und Sicherheitshinweisen des deutschen Auswärtigen Amts etwa wird von Reisen in den Sinai dringlich abgeraten:
»Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel, das Gouvernement Nordsinai (inklusive Grenzgebiet zum Gazastreifen) sowie das ägyptisch-israelische Grenzgebiet – mit Ausnahme des unmittelbaren Küstenabschnitts und des Grenzortes Taba – wird gewarnt. Vor Nutzung der Straße von Suez nach Taba wird ebenfalls gewarnt. In diesen Regionen finden militärische Operationen statt, da es in der Vergangenheit zu terroristischen Anschlägen kam.«
Der Ratschlag klingt, als sollte man besser auf ihn hören. Aber die Aktivisten waren unerschrocken, wohl in dem Glauben, die einzige Gefahr in der Welt gehe vom Zionismus aus und sie unter »den arabischen Brüdern« sicher seien, weil diese doch vermeintlich das gleiche Interesse wie sie selbst haben müssten.
Wie schlecht vorbereitet die Touristen waren, zeigt eine von ihnen benutzte Landkarte, von der die britische Tageszeitung The Telegraph berichtete: Kairo wurde zu weit nördlich eingezeichnet, der Suezkanal ist mitten auf der Sinai-Halbinsel und El-Arisch und Rafah – die Reiseziele – sind nicht in der Nähe des Mittelmeers (an ihrem wirklichen Ort), sondern beim Roten Meer zu finden, nicht weit weg von Eilat. Der Telegraph-Autor wundert sich: »Wie es im Jahr 2025 überhaupt möglich ist, eine (nicht handgezeichnete) Karte mit derartigen Fehlern zu finden, ist ein beinahe beeindruckendes Rätsel.« Die falsche Landkarte hat etwas Metaphorisches: Die Reisegruppe bewegte sich in einer Fantasiewelt.
In Ägypten angekommen, gab es eine jähe Konfrontation mit der Realität. Videoclips zeigten friedliche Aktivisten, die von Einheimischen angegriffen und ausgepeitscht, getreten und geschlagen wurden. Laut Berichten in den sozialen Medien wurden auch Pässe und Handys konfisziert; Menschengruppen wurden an provisorischen Checkpoints zusammengepfercht und gewaltsam in Busse verfrachtet, um nach Kairo zurückgebracht und abgeschoben zu werden.
Ich flehe euch an …
Der Hass auf Israel bringt immer wieder verstörende Bilder und Reden hervor. Doch selten war ein Anblick so zum Fremdschämen wie jener der westlichen Palästina-Touristen, nachdem ihre Reise an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen von der ägyptischen Polizei gestoppt worden war. Ein junger Waliser flehte vor laufenden Kameras: »Um der Liebe willen, steht an der Seite eurer Brüder und Schwestern in Filistin (arabisches Wort für Palästina, Anm. Mena-Watch). Ich habe nie etwas Derartiges erlebt oder gesehen. Bitte.«
Die Worte sprach er mit lauter Stimme und tat so, als würde er gleich anfangen zu weinen. Es wurde noch schlimmer. Er ging tatsächlich auf die Knie und machte weiter: »Ich flehe euch an. Erlaubt uns, nach Filistin zu marschieren. Bitte, ihr müsst auf mich hören.« Er appellierte im Namen »der Humanität« und »des Islam« – so, als würde er den Polizisten erklären, woran sie zu glauben hätten. Neben ihm stand ein Dolmetscher, der die Worte auf Arabisch wiederholte und bemüht war, ebenso viel Pathos hineinzulegen und diesen mit Gesten zu unterstreichen.
Die für die laut Eigendefinition »progressive linke« Kleinpartei Mera25 zur deutschen Bundestagswahl antretende Melanie Schweizer schickte später in einem Livestream einen Hilferuf an die Welt:
»Dies ist ein Notfall. Wir wurden gerade gewaltsam in die Busse gezerrt, hier am ersten Checkpoint auf dem Weg nach Al… äh… Ismailia. Wir saßen ruhig und haben nichts getan. Wir sprachen darüber, dass wir bald in Taxis nach Kairo zurückfahren würden, denn wir haben kein Gesetz gebrochen. Und plötzlich stürmten viele Leute herein und fingen an, Leute zu schubsen und gewaltsam ins Freie zu zerren. Sie haben Leute geschlagen. Ich sah eine Frau, der vor meinen Augen ins Gesicht geschlagen wurde. Sie haben keine Zeit gelassen, das Gepäck oder irgendwas mitzunehmen. (Unverständlich) … geschlagen. Dies ist der Bus voller Leute. Niemand ist schwer verletzt. Dies ist ein sehr schockierender Vorfall.«
Dann schwenkte die Handykamera plötzlich zum Boden und Schweizer verstummte für einige Sekunden. Schließlich fuhr sie fort: »Also, das ist einer dieser Geheimdienstleute und ich muss diesen Livestream jetzt beenden. Wir sind in Gefahr. Dies ist ein Notfall. Wir brauchen Hilfe.« Es ist unklar, welche Hilfe genau sie meinte. Diplomatische? Offenbar wollte sie die Weltöffentlichkeit auf die Gruppe aufmerksam machen, weil sie sich vor dem fürchtete, was ihr auf dem Rückweg noch alles passieren könnte.
Tatsächlich war das Martyrium noch nicht zu Ende. In einem Café in Kairo sollen drei Männer von nicht identifizierten Personen festgenommen und mit verbundenen Augen abgeführt worden sein. Dabei handelte es sich offenbar um Jonas Selhi und Huthayfa Abuserriya, beide aus Norwegen, sowie Saif Abukeshek, ein spanischer Staatsbürger palästinensischer Herkunft und einer der Organisatoren des Marschs. Wie der türkische Rundfunksender TRT berichtete, wurde auch Abukeshek zwischenzeitlich, wie die meisten anderen, aus Ägypten abgeschoben.
Ob immer noch einzelne Teilnehmer des Marschs in Ägypten inhaftiert sind, ist unklar. Festzuhalten ist, dass die Aktivisten in Ägypten nicht gut behandelt wurden. Doch sofern am Ende alle in ihre Heimatländer zurückkehren, darf man sagen: Es hätte schlimmer kommen können. Der italienische Anti-Israel-Aktivist Vittorio Arrigoni reiste 2011 in den Gazastreifen und kehrte niemals zurück, weil er dort von salafistischen Gegnern der Hamas entführt und ermordet wurde.
Man fragt sich, warum dennoch Leute freiwillig in den Gazastreifen wollen – und das, obwohl dort gerade Krieg herrscht, was sie ja wissen. Was genau sie dort getan hätten, weiß man auch nicht.
In den sozialen Medien wiesen Kommentatoren darauf hin, dass die Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen eine der am stärksten gesicherten der Welt ist, eine Art Eiserner Vorhang. Das hätte den Aktivisten zu denken geben sollen: Ägypten will mit diesen »Brüdern« nichts zu tun haben oder hat einfach Angst um seine Sicherheit. Schließlich wurden in der Vergangenheit ägyptische Polizisten an der Grenze zum Gazastreifen ermordet. Die Täter hatten sich aus Gaza über die Grenze geschlichen. Die Lage ist komplexer, als sich Anti-Israel-Fanatiker das so vorstellen.
»Ich bin Diplomatin!«
Mit dabei war auch Carola Rackete, Europaabgeordnete der deutschen Linkspartei. Sie klagte, dass ihr »diplomatischer Reisepass« – was immer sie damit meint – die Ägypter nicht beeindruckt habe. Offenbar hatte ihr niemand gesagt, dass Ägypten kein EU-Staat ist und ihr Abgeordnetenstatus in Straßburg und Brüssel dort niemanden beeindruckt. Sie ist, anders als sie denkt, auch keine »Diplomatin«.
Man habe ihr sogar das Handy abgenommen, lamentierte sie weiter. Dann sei sie abgeschoben worden, weil sie »einen Standpunkt für Palästina eingenommen und gegen den Genozid Stellung bezogen« habe. Das ist nettes Framing, aber sicherlich nicht das, was die Ägypter ihr gesagt haben. Sie wurde abgeschoben, weil sie unbefugt in militärisches Sperrgebiet eingedrungen und sich den Anweisungen der ägyptischen Polizei widersetzt hatte. Es ist eine Hybris, anzunehmen, dass sich alle Welt den Wünschen von Frau Rackete zu unterwerfen habe.
Eine wohl wirklich an Ägypten interessierte englische Sightseeing-Touristin mit Hut und Sonnenbrille musste einem leidtun; sie war unschuldig mitten in ein weltpolitisches Getümmel geraten und klagte gegenüber einem Journalisten: »Es ist mein erstes Mal hier. Ich wollte mir Ägypten ansehen und mir wird nicht erlaubt, dies zu tun. Das ist sehr repressiv.« Ein Uniformierter erklärte währenddessen den linken Aktivisten auf Englisch: »Ihre Botschaft wurde bereits zur Kenntnis genommen, Sie können nach Kairo zurückkehren, wir werden das arrangieren.«
Ein Demonstrant fragt aus dem Off: »Wir können das in Amerika, warum nicht hier?« Der Polizist blickt zu ihm und stellt die auf der Hand liegende Frage: »Was machen Sie hier?« Wir sind hier nicht in New York, mein Lieber. Vielleicht wird die Frage des Polizisten von einem anderen Mann beantwortet, der den ägyptischen Polizisten anschrie: »Geht nach Gaza, tötet Israel!« Ach, darum also ging es bei der Reise.