Der Großteil der iranischen Bevölkerung ist mit dem Regime und den derzeit herrschenden Lebensbedingungen unzufrieden, auch wenn sich die Mehrzahl an den Demonstrationen nicht beteiligt.
Das konservative Lager im Iran scheint geteilter Meinung zu sein über die Auswirkungen der Proteste und die Nachhaltigkeit der Veränderungen, die aufgrund der mehr als zwei Monate andauernden landesweiten Proteste in der iranischen Gesellschaft bereits stattgefunden haben. Gleichzeitig erklärte ein zum sogenannten Reformlager gehörender Funktionär unlängst, die schweigende Mehrheit des Landes unterstütze die anhaltenden Proteste, obwohl sich die Mehrheit der Menschen nicht aktiv an ihnen beteiligt.
In der Tageszeitung Etemad schrieb der führende reformorientierte Kommentator Abbas Abdi, einige einfältige Menschen glaubten zwar immer noch, dass die Proteste bald zu Ende sein werden, die Situation erfordere jedoch eine genauere Analyse. Abdi schrieb, die meisten Iraner seien mit den bestehenden Verhältnissen nicht zufrieden und befürworten die Proteste, denn ohne ihre Unterstützung hätte die Bewegung gar nicht erst begonnen oder wäre bereits beendet.
Der Grund, weshalb sich die Mehrheit der Iraner nicht aktiv an den Protesten beteilige, sei, dass sie die Konsequenzen fürchteten und keine vielversprechenden Aussichten für die Bewegung sähen. Letzteres sei ein wichtiger Grund, denn die Majorität glaube, »dass es keine Garantie für den Erfolg der Bewegung gib, und deshalb zögert«, was aber nicht bedeute, dass sie mit den Status quo zufrieden seien und ihn aufrechterhalten möchten.
Die Demonstranten hingegen seien der Meinung, »dass die Zukunft nicht schlechter sein kann als die derzeitige Situation«, so Abdi, der der Ansicht ist, die Aussagen der sogenannten Hardliner, nach denen ohne Islamische Republik die Hölle über das Land hereinbrechen würden, seien falsch. Vielmehr sei es die derzeitige Regierung, die »nicht in der Lage ist, normal zu funktionieren und Wirtschaftswachstum zu gewährleisten, die Inflation zu kontrollieren, die Beschäftigung anzukurbeln und Häuser für die Menschen zu bauen«.
Abdi fügte hinzu, die Hoffnung der Hardliner, dass die Menschen der Proteste überdrüssig und aufgeben werden, werde sich nicht erfüllen: »Der Iran wird niemals zu der Situation vor Beginn der Proteste zurückkehren. Was geschehen ist, ist unumkehrbar, also müssen wir da weitermachen, wo wir jetzt stehen.« Veränderung sei der einzige Weg nach vorne, argumentierte er, und nur mit positiven Schritten seitens der Regierung könne ein Durchbruch erzielt werden. »Andernfalls könnten sich die Menschen für eine unbefristete Ungewissheit entscheiden«, schrieb er unter Anspielung auf einen Sturz des Regimes.
Differenzen unter den Hardlinern
Während der gemäßigt konservative Politiker und Kommentator Mohammad Mohajeri voraussagte, das Regime müsse auch zukünftig damit rechnen, dass sich die iranischen Frauen dem Hidschab widersetzen, garantierte die Tageszeitung Hamshahri, das von Hardlinern geführte Sprachrohr der Teheraner Stadtverwaltung, den Ultrakonservativen, »fromme Menschen können sicher sein, dass die Situation nicht so bleiben wird«, wie sie es gerade ist.
Da die Probleme mit der Hidschabpflicht und der Sittenpolizei ungelöst geblieben seien, so Mohajeris Argument, sei »die Präsenz einer großen Zahl von Frauen ohne Kopftuch in vielen Städten zur Routine geworden. Dies wird wahrscheinlich zur neuen Normalität der Gesellschaft werden«, schrieb er. Dieser Zustand der Unentschiedenheit könnte länger anhalten, da die Regierung geübt darin sei, Probleme ungelöst zu lassen – Probleme, die weit über das des Hijabs hinausgingen, da im Iran eine allgemeine Unzufriedenheit über die Art und Weise herrsche, wie das Land regiert wird, schloss Mohajeri seine Ausführungen.
Auf der anderen Seite, schrieb Hamshahri, werde die Art und Weise, wie sich manche Frauen im Moment gerade kleiden, in der Zukunft nicht so bleiben, da die Proteste nicht dazu geführt hätten, dass mehr Frauen ihr Kopftuch ablegen. Hamshahri fügte hinzu, dass einige Frauen momentan zwar aus Protest ihr Kopftuch ablegen, aber wenn die Proteste vorbei seien, werde sich auch die Vernunft wieder durchsetzen.
Diese Behauptung dürften jedoch eher Wunschdenken der Konservativen sein, wie Iran International analysiert, da sie einerseits durch Fotos und Videos, die viele Frauen ohne Hijab zeigen, widerlegt wird und sich andererseits auch in den vergangenen Tagen keinerlei Anzeichen dafür eingestellt haben, dass die Proteste in irgendeiner Form abebben würden – im Gegenteil: In der Nacht von Donnerstag auf Freitag kam es nicht nur erneut in vielen Städten zu Aufmärschen, Demonstranten zündeten sogar das Geburtshaus von Revolutionsführer Khomeini an, das von der Islamischen Republik in ein Museum umgewandelt worden war.