Syrische Flüchtlinge im Libanon geraten zusehends unter Druck. Doch zurück in ihr Heimatland wollen die wenigsten.
Seit dreizehn Jahren befindet sich Syrien im Kriegszustand. Zwar sind die schwersten Kämpfe beendet und die Auseinandersetzungen zwischen den Resten der Opposition und der syrischen Armee und ihren Verbündeten derzeit nicht viel mehr als Scharmützel, doch von einer Erholung des Landes kann keine Rede sein.
Wie ein Report des EU-Parlaments bereits letztes Jahr festgestellt hat, verschlechtert sich die humanitäre und ökonomische Lage ständig. Die Hälfte der rund 22 Millionen Einwohner seien im Land vertrieben oder ins Ausland geflüchtet, mehr als fünfzehn Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das verheerende Erdbeben im Februar 2023 habe die Situation weiter verschärft.
Die meisten syrischen Flüchtlinge halten sich weiterhin in den Nachbarländern auf; über drei Millionen in der Türkei, 750.000 in Jordanien und etwa 1,5 Millionen im Libanon. Doch die Zeiten, in denen sie mit offenen Armen empfangen wurden, sind längst vorbei.
Besonders im Libanon weht den Flüchtlingen ein zusehends rauerer Wind entgegen. Zum einen, weil nach mehr als zehn Jahren Flucht und Exil die finanziellen Ressourcen der Syrer längst aufgebraucht sind. Zum anderen, weil der Libanon seit vier Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise steckt.
Hinzu kommt der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel, der Zehntausende Libanesen aus dem Südlibanon zu Vertriebenen machte, die nun ihrerseits mit Notunterkünften und Hilfsleistungen versorgt werden müssen. Es steht außer Frage, dass die Infrastruktur als auch die finanziellen Mittel des Landes erschöpft sind und die hohe Zahl an Flüchtlingen daher eine spürbare Last darstellt. In Relation zur Größe der Bevölkerung hat der Libanon die weltweit höchste Anzahl an Syrern aufgenommen.
Zusätzlich gießen Politiker Öl ins Feuer, die syrische Geflüchtete zu Sündenböcken machen und ihnen die Schuld für eine Fülle an Problemen im Land geben. Wie die ARD Tagesschau berichtete, haben die Anfeindungen seit dem Frühjahr massiv zugenommen.
Flucht nach Zypern
Zahlreiche Syrer entschieden sich daher für die Flucht aus dem Libanon in die Europäische Union. Vom Nahen Osten aus ist Zypern das Tor nach Europa. Die Insel liegt gerade einmal 160 Kilometer von der libanesischen Küste entfernt. Im heurigen ersten Quartal erreichten fünfzig Flüchtlingsboote die Republik Zypern, also den südlichen Teil der Insel, der Mitglied der EU ist.
Laut UNHCR stellten rund dreitausend Syrer zwischen Januar und März 2024 Asylantrag auf Zypern. Doch nicht nur aus dem Libanon, auch aus dem von türkischen Streitkräften besetzten Norden der Insel gelangen vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan und afrikanischen Staaten in die südliche Republik Zypern.
Gemessen an seiner Einwohnerzahl hat die Republik die höchste Zahl an Asylantragstellern innerhalb der EU. Brüssel reagierte und verhandelte im Mai 2024 einen Pakt mit dem Libanon, damit dieser die Flüchtlingsboote Richtung Zypern stoppt. Diese Maßnahme sowie schärfere Zuwanderungskontrollen durch die Verwaltung Nordzyperns und Pushbacks von Flüchtlingen durch die zypriotische Polizei ließen die Asylanträge im August auf rund zweihundert sinken.
Der Pakt mit Beirut ist nur einer von vielen von der Union mit Nachbarstaaten abgeschlossenen. Ähnliche Abkommen gibt es mit der Türkei, Ägypten, Libyen, Tunesien und zahlreichen anderen Staaten. Sie alle zielen darauf ab, Flüchtlinge erst gar nicht in den EU-Raum gelangen zu lassen.
Mit der Auslagerung der Asylverantwortung geht aber auch jede Möglichkeit verloren, Asylrecht und humanitäre Behandlung von Geflüchteten zu gewährleisten. Erst im August bestätigte die EU-Kommission erneut, dass Syrien kein sicheres Drittland sei. Dennoch finden Abschiebungen vom Libanon nach Syrien statt. Ein im September erschienener Report von Human Rights Watch (HRW) belegt, dass libanesische Streitkräfte Flüchtlingsboote nicht nur am Auslaufen hindern, sondern die Insassen ohne Asylverfahren an die libanesisch-syrische Grenze bringen, wo sie der syrischen Armee übergeben werden.
Sanktionen treffsicherer gestalten
Was also tun, damit Syrien zu einem Land wird, in das zumindest ein Teil der etwa sechs Millionen ins Ausland geflüchteten Bewohner zurückkehren kann? Präsident Bashar al-Assad ist nach wie vor an der Macht, weshalb für Regimekritiker eine Rückkehr keine Option ist, zumal sie mit Verfolgung, Folter und Tod rechnen müssen. Viele andere flohen aber – und verlassen Syrien nach wie vor –, weil sie in dem wirtschaftlich völlig ruinierten Land keine Zukunft sehen. Grund für den Niedergang ist in erster Linie der Krieg und die hauptsächlich durch das Regime und seine Verbündeten verursachten, massiven Zerstörungen von Industrie, Infrastruktur und Wohnraum.
UN-Experten und Wirtschaftswissenschaftler sind jedoch zunehmend der Meinung, dass die internationalen Sanktionen gegen Syrien die Wirtschaftskrise befeuern und die Zivilbevölkerung die Hauptlast zu tragen hat. Die aktuellen Sanktionen gegen Syrien führen laut diesen Kritikern zu einer Verschärfung der humanitären Krise, da sie den Wiederaufbau behindern und den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern erschweren. Befürworter argumentieren jedoch, dass ein vollständiges Aufheben der Sanktionen das Assad-Regime stärken und Menschenrechtsverletzungen ungestraft lassen würde.
Hier setzt die Debatte um sogenannte smarte Sanktionen an: Statt ganze Wirtschaftssektoren zu blockieren, könnten gezielte Maßnahmen gegen Einzelpersonen und spezifische Unternehmen ergriffen werden, die direkt mit dem Regime in Verbindung stehen. Diese treffsichereren Sanktionen würden der syrischen Zivilbevölkerung mehr Raum zum Überleben geben, während der Druck auf das Regime bestehen bleibt.
Konkret könnten Sektoren wie die humanitäre Hilfe, der Bildungsbereich und der Wiederaufbau von ziviler Infrastruktur von den Sanktionen ausgenommen werden, um den Menschen vor Ort eine Perspektive zu bieten, ohne das Regime direkt zu unterstützen. Ein solches Modell würde mehr Flexibilität bieten und sicherstellen, dass Sanktionen effektiver sind, ohne die humanitäre Lage zu verschlimmern.
Während Sanktionen und politische Instabilität eine sichere Rückkehr nach Syrien bisher verhindern, steigt der Druck auf Aufnahmeländer wie den Libanon. Zukünftige Entwicklungen hängen maßgeblich von einer Reform der Sanktionen und internationalen Bemühungen ab, die Flüchtlinge vor Ort zu unterstützen und menschenwürdige Lösungen anzubieten.