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Syriens Präsident Assad könnte verantwortlich für Beiruter Explosion sein

Der durch die Explosion im August zerstörte Hafen von Beirut
Der durch die Explosion im August zerstörte Hafen von Beirut (© Imago Images / Xinhua)

War das Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut, das die Explosionskatastrophe in Beirut verursachte, bei der am 4. August 2020 190 Menschen ums Leben kamen und über 650 verletzt wurden, zum Bombenbau für das syrische Regime bestimmt?

Wie u.a. die britische Tageszeitung The Guardian und das katarische Medienunternehmen Al-Jazeera berichten, ist dies die These einer Dokumentation des libanesischen Filmemachers Feras Hatoum, die der libanesische Fernsehsender Al-Jadeed diese Woche ausgestrahlt hat.

Bislang hatte es geheißen, dass eine in London eingetragene Firma namens Savaro Limited das Ammoniumnitrat auf einem kaum seetüchtigen Schiff namens Rhosus vom georgischen Schwarzmeerhafen Batumi nach Mosambik bringen sollte. Bei dem Käufer sollte es sich um Fábrica de Explosivos de Moçambique, eine auf Sprengstoffproduktion spezialisierten Firma handeln.

Statt aber Afrika anzusteuern, änderte die Rhosus am 19. November 2013 die Route und lief Beirut an. Dort wurde die Ladung gelöscht, 2.755 Tonnen Ammoniumnitrat. Die Rhosus wurde 2014 von den Behörden beschlagnahmt und sank 2018 im Hafen von Beirut.

Keine 2.755 Tonnen explodiert

Die Menge Ammoniumnitrat, die die Explosionskatastrophe verursachte, war aber nach Meinung von Experten deutlich geringer als die 2.755 Tonnen, nämlich nur etwa 700 bis 1.000 Tonnen. Diese Teilmenge war offenbar nur deshalb über Jahre im Hafen von Beirut verblieben, weil die Säcke aufgeplatzt waren, so dass der Weitertransport mit Aufwand verbunden gewesen wäre.

Wäre das gesamte Ammoniumnitrat im Hafen verblieben, wäre die Explosion noch verheerender ausgefallen, von Beirut wäre dann wohl kaum etwas übriggeblieben.

Die überwiegende Menge wurde aber offenbar abtransportiert. Wohin? Laut Hatoums Recherchen führt eine Spur zu Personen, die seit Jahren dafür bekannt sind, als Geschäftsleute und Waffenlieferanten des syrischen Diktators Baschar al-Assad in Moskau zu fungieren.

Der Filmemacher verdächtigt drei Personen mit doppelter russischer und syrischer Staatsangehörigkeit, das Ammoniumnitrat für Assad zur militärischen Verwendung beschafft zu haben: George Haswani, Mudalal Khuri und dessen Bruder Imad. Mit George Haswani und Imad Khuri verbundene Unternehmen sollen dieselbe Postadresse in London gehabt haben wie Savaro Limited.

Assads russisches Schmugglernetzwerk

Was war bislang schon über diese drei Personen bekannt?

  • George Haswani: Die US-Regierung unter Präsident Barrack Obama verhängte am 25. November 2015 Sanktionen gegen Haswani, den sie beschuldigte, Öl von Ölfeldern, die der Islamische Staat (IS) besetzt hatte, an die syrische Regierung zu verkaufen.
  • Dafür nutzte Haswani eine ihm gehörende Firma namens IK Petroleum, die bis 2016 von Imad Khurigeführt wurde.
  • Mudalal Khuri: Am selben Tag wie Haswani setzte das US-Finanzministerium auch Imads Bruder Mudalal Khuri auf die Sanktionsliste, als „Unterstützer der syrischen Regierung, der syrischen Zentralbank, des Gouverneurs der syrischen Zentralbank, Adib Mayaleh, und der syrischen Zentralbankbeauftragte Batoul Rida“.

Mayaleh und Batoul standen schon seit Juli 2012 bzw. März 2015 auf der US-Sanktionsliste. Interessant ist, dass die US-Regierung Khuri schon damals, 2015, beschuldigte, im Jahr 2013 versucht zu haben, für Assad Ammoniumnitrat zu kaufen. In der Mitteilung des U.S. Department of the Treasury’s Office of Foreign Assets Control (OFAC) heißt es:

„Khuri ist seit langem mit dem Assad-Regime verbunden und vertritt die geschäftlichen und finanziellen Interessen des Regimes in Russland. Khuri ist mit Finanztransaktionen verbunden, an denen die syrische Regierung bereits 1994 beteiligt war. Er war auch Vermittler zwischen Batoul Rida und einem russischen Unternehmen bei einem Beschaffungsversuch für Ammoniumnitrat Ende 2013.“

„Ende 2013“: Das war genau der Zeitpunkt, zu dem der Frachter Rhosus, der mit dem Ammoniumnitrat angeblich auf dem Weg nach Mosambik war, seinen „ungeplanten Zwischenstopp“ in Beirut einlegte (19. November 2013)

Khuri „besitzt oder kontrolliert auch fünf der heute bezeichneten Unternehmen“, teilte das US-Finanzministerium weiter mit – Unternehmen, gegen die das US-Finanzministerium ebenfalls Sanktionen verhängte. Laut einem Bericht der Londoner Times von Juli 2020 beschaffte Mudalal Khuri dem Assad-Regime auch Zutaten für dessen Chemiewaffenproduktion.

Libanesische Justiz ermittelt

Wie der Guardian berichtet, wecke die plötzliche Änderung der Route des Schiffes, dessen unklarer Besitzer und die „mysteriöse Herkunft“ der Fracht den Verdacht, dass Beirut von Anfang an das wahre Ziel des Frachters gewesen sei.

Der Verdacht wird dadurch bestärkt, dass die Adresse von Savaro Ltd. – 10 Great Russell Street, London WC1B 3BQ – auch die eingetragene Adresse von Hesco Engineering and Construction war, eines Unternehmens, das mit George Haswanis inzwischen nicht mehr existierenden Unternehmen Hesco IK Petroleum verbunden war, das den Ölhandel zwischen dem IS und Assad abgewickelt haben soll. Hesco Engineering wurde am 6. September 2018 auf die US-Sanktionsliste gesetzt.

Der Verdacht, dass das Ammoniumnitrat militärischen bzw. terroristischen Zwecken dienen sollte, wird durch zwei andere Nachricht verstärkt, von der die libanesische Öffentlichkeit ebenfalls diese Woche erfuhr:

  • Ein libanesischer Staatsanwalt lässt über Interpol nach dem russischen Kapitän der Rhosus fahnden und nach einem portugiesischen Händler, der die Ladung 2014 im Hafen von Beirut inspizierte.
  • Eine Ermittlungsrichterin lässt über Interpol nach zwei libanesischen Staatsbürgern fahnden, die 2016 auf einem Schiff, das westlich von Kreta von den griechischen Behörden beschlagnahmt wurde, 10 Tonnen Ammoniumnitrat, 6.400 Jagdgewehre, 151 Kisten Yavex-Sprengstoff (eine Mischung aus Ammoniumnitrat und Benzin), 5.000 Sprengkabel und 5.000 Zünder transportierten. Angebliches Ziel: Kongo.

Über die Reaktionen in der Bevölkerung, die die Fernsehdokumentation in Beirut ausgelöst hat, schreibt der Guardian:

„Das Gespenst einer Verbindung zwischen der Explosion und dem syrischen Regime und Russland, das Assad auf dem Schlachtfeld stark unterstützt hat, wurde in einigen Teilen der Gesellschaft mit Wut und in anderen mit Verachtung aufgenommen. ‚Natürlich war das Ammoniumnitrat für Assad gedacht’, sagte Raad Ayoubi, ein Versicherungsmakler. ‚Es muss jedoch noch eine andere Frage gestellt werden. Wie ist es von Beirut zu Bashar [Assad] gekommen?“

Mittelsmann Hisbollah?

Der Bericht des Guardian geht dieser Frage nicht nach. Wir kennen aber die Antwort: Das gesamte libanesisch-syrische Grenzgebiet wird von der Hisbollah kontrolliert, die dort sogar einen eigenen Grenzübergang betreibt.

Assad hat das Ammoniumnitrat offenbar zu einer Zeit bestellt, als er knapp an Munition und Waffen war und Russland sich noch nicht aktiv am syrischen Bürgerkrieg beteiligte (die Einsätze der russischen Luftwaffe begannen 2015). Die Hisbollah unterstützte ihn 2013 bereits.

Die Terrororganisation hat auch Erfahrung mit Ammoniumnitrat. Einen mit Ammoniumnitrat und Heizöl beladenen LKW benutzte sie auch 1994 bei dem Terroranschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires (AMIA), bei dem 87 Menschen getötet und über hundert weitere verletzt wurden.

Der Filmemacher Hatoum sagt, er bezweifle, dass der Libanon erfolgreiche Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der Explosionskatastrophe wird führen können, „aus vielen Gründen, wenn man die Art und Weise betrachtet, wie die Dinge in den vergangenen Monaten gehandhabt wurden“. Er vertraue auch keiner ausländischen oder internationalen Untersuchung, „weil wir in der Vergangenheit so schlechte Erfahrungen gemacht haben und die Politik immer im Weg steht“.

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