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Syrien zwischen Neuanfang und Chaos

Arabisches Ministertreffen über Syrien in Akaba am 14. Dezember 2024. (© imago imago/Xinhua)
Arabisches Ministertreffen über Syrien in Akaba am 14. Dezember 2024. (© imago imago/Xinhua)

Bashar al-Assad ist Geschichte, doch Syriens Zukunft bleibt ungewiss: Kann der ehemalige Al-Qaida-Kommandeur Ahmad al-Sharaa den Krieg beenden und das Land stabilisieren?

In seinen letzten Tagen an der Macht bat Bashar al-Assad um ausländische Militärhilfe aus Russland, dem Iran und dem Irak – vergebens. Seine einstigen Verbündeten konnten oder wollten Assad nicht retten. Wie die New York Times berichtete, suchten stattdessen Diplomaten aus einem halben Dutzend Ländern nach Wegen, Assad friedlich von der Macht zu vertreiben. Der antiken Stadt Damaskus sollte eine blutige Schlacht um die Kontrolle erspart bleiben, der Übergang kontrolliert verlaufen. Einer ihrer Vorschläge sah vor, dass Assad die Macht an seinen Militärchef übergibt und sich damit praktisch einem Staatsstreich unterwirft.

Doch Assad hatte andere Pläne: In der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember 2024 floh er aus Damaskus und flog heimlich zu einem russischen Militärstützpunkt in Nordsyrien. Anschließend brachte ihn ein russisches Flugzeug nach Moskau. Die über 50-jährige Herrschaft des Assad-Clans war zu Ende.

Eine blutige Schlacht blieb der Hauptstadt dennoch erspart. Als die Rebellen am 8. Dezember Damaskus erreichten, befand sich die syrische Armee seit Tagen in Auflösung. Der von der Regime-Propaganda beschworene Verteidigungsring um die Hauptstadt existierte nicht. Ohne die Unterstützung Russlands und des Irans war kaum jemand bereit, für das Regime zu kämpfen.

Misstrauen und Hoffnung

Der neue Herrscher in Damaskus, Ahmad al-Sharaa (ehemaliger Kampfname al-Julani), gibt sich bemüht, in Syrien für Ordnung und Stabilität zu sorgen. Er kündigte an, die Rebellenmilizen auflösen und dem Verteidigungsministerium unterstellen zu wollen. Die von ihm gebildete Übergangsregierung werde Syrien in Wahlen führen, die allerdings wohl erst in Jahren nach der Erarbeitung einer neuen Verfassung durchgeführt werden könnten. Al-Sharaa betonte die nationale Einheit über alle religiösen Gruppen und Ethnien hinweg.

Dennoch: Al-Sharaa war ein Mann Al-Qaidas, bevor er sich 2016 von der Organisation offiziell lossagte. Seine Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ist klar islamistisch geprägt. Die USA und mehrere andere Staaten betrachten die Rebellengruppe nach wie vor als terroristische Organisation, was die Hilfe für die neue Regierung durch Länder und Organisationen stark einschränkt.

Spricht man mit Christen in Syrien, sind die Reaktionen durchwachsen. Einige geben sich vorsichtig optimistisch. Sie sehen, dass sie unbehelligt ihre Gottesdienste feiern können und es bisher keine Ausschreitungen gab. Andere misstrauen al-Sharaa und befürchten, er werde über kurz oder lang aus Syrien einen islamischen Staat machen.

Hürden für den Frieden

Aber selbst, wenn al-Sharaa und seine HTS es mit den angekündigten Plänen für ein inklusives Syrien ernst meinen, wird das nicht einfach. Ein Land, das über fünfzig Jahre lang diktatorisch regiert wurde und die letzten dreizehn Jahre in einem Krieg von unvorstellbarer Grausamkeit versank, kann sich nicht von heute auf morgen in eine lupenreine Demokratie verwandeln.

Unter anderem auch, weil zu viele offene Rechnungen beglichen werden wollen. So wurde in sozialen Medien berichtet, dass HTS-nahe Personen Alawiten und andere Syrer, die beschuldigt werden, dem Assad-Regime anzugehören, getötet und entführt haben. Bei einigen der betroffenen Alawiten handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um ehemalige Regimemitglieder, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Aber sie sollten von fairen und transparenten Gerichten angeklagt werden. Setzt sich die Lynchjustiz durch, besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in die Gemeinschaft schwindet und Vergeltungsmaßnahmen zwischen ethnischen und konfessionellen Gruppen hochkochen.

Ausländische Akteure

Und dann gibt es noch ausländische Akteure, die ihre Interessen in Syrien verfolgen. Die USA kämpfen gegen Überreste des Islamischen Staates im Osten des Landes, wo sich auch Syriens Ölquellen befinden. Die Türkei schickt von ihr ausgerüstete Milizen gegen kurdische Kräfte in den Nordosten (und hetzt damit Syrer gegen Syrer). Israel bombardiert syrische Militäreinrichtungen und hat nach eigenen Angaben bloß »temporäre« Pufferzonen im Land errichtet, um Bedrohungen von der eigenen Grenze fernhalten zu können.

Der Iran, der mit Assad einen seiner engsten Verbündeten verlor, scheint es darauf anzulegen, sektiererische Spannungen in Syrien zu schüren. Wie das Institute for the Study of War (IWS) berichtete, deuteten hochrangige iranische Beamte, darunter der Oberste Führer Ali Khamenei, wiederholt an, dass sich die Jugend in Syrien »erheben« werde. Diese Aussagen könnten in dem angespannte Klima Syriens verfangen und dazu führen, dass Alawiten und Schiiten als pro-iranische Stellvertreter unter Generalverdacht gestellt werden – Zündstoff für Konflikte, von denen das iranische Regime zu profitieren hofft.

Chancen und Risiken

Bei der internationalen Syrien-Konferenz in Jordanien am 14. Dezember 2024 – al-Sharaa und HTS waren nicht eingeladen – verkündeten die Teilnehmer, darunter USA und EU, die territoriale Einheit Syriens gewährleisten zu wollen.

Ursula von der Leyen stellte in Aussicht, hundert Tonnen Lebensmittel, Medikamente und medizinische Hilfsgüter nach Syrien liefern zu lassen. Mit Blick auf den Wiederaufbau des Landes denkt sie laut über eine mögliche Aufhebung der Sanktionen nach. »Aber das kann nur geschehen, wenn es vor Ort echte Fortschritte bei einem friedlichen Übergang gibt«, so von der Leyen.

Auch die USA stehen in Kontakt mit den neuen islamistischen Machthabern. Nach einem Treffen zwischen US-Diplomaten und dem HTS-Anführer in Syrien zogen die USA das von ihnen auf al-Sharaa ausgesetzte Kopfgeld von zehn Millionen Dollar zurück.

Baschar al-Assads Sturz birgt für Syrien die Chance, den über ein Jahrzehnt andauernden Krieg im Land endlich zu beenden. Al-Sharaa hätte das Potenzial, dieses Ende einzuläuten. Doch die Herausforderungen, interne wie externe, bleiben immens. Die neuen Machthaber werden nicht nur für Stabilität und Rechtssicherheit sorgen müssen, sondern auch die völlig marode Wirtschaft zum Laufen bringen, um den Menschen eine Zukunftsperspektive zu bieten, aber auch, um Staatseinnahmen zu generieren.

Assads plötzlicher Abgang brachte aber auch die strategische Karte des Nahen Ostens durcheinander. Hier wird sich zeigen, ob Player wie der Iran bereit sind, dieses Faktum zu akzeptieren, oder versuchen werden, die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben, was weiteres Blutvergießen und weitere Kriegsjahre mit sich bringen würde.

In einem waren sich jedoch alle Syrer, mit denen der Autor sprach, einig: Nach dreizehn Jahren Bürgerkrieg, befeuert durch widersprüchliche Interessen ausländischer Staaten, ist es an der Zeit, Syrien den Syrern zu überlassen.

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