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Syrien: Wird jemand der Türkei entgegentreten?

Kämpfer der von der Türkei unterhaltenen SNA im Vormarsch gegen Kurden in Syrien. (© imago images/Depo Photos)
Kämpfer der von der Türkei unterhaltenen SNA im Vormarsch gegen Kurden in Syrien. (© imago images/Depo Photos)

Die Türkei arbeitet hartnäckig daran, die kurdische Autonomie im Nordosten Syriens zu zerstören. Muss sie mit Widerstand rechnen?

Nach dem Sturz des Assad-Regimes bleibt Syrien ein Fleckenteppich, in dem neben der neuen stärksten Kraft, der Islamistenmiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) von Ahmed al-Sharaa, auch noch eine Reihe anderer bewaffneter Formationen existieren.

Die Syrische Nationale Armee

Die bekannteste dieser militärischen Einheiten sind sicherlich die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces/SDF), die weite Teile Nordostsyriens kontrollieren und von den USA unterstützt werden. Ihnen steht die von der Türkei ausgerüstete, finanzierte und gesteuerte sunnitisch-islamistische Syrische Nationale Armee (SNA) gegenüber, die oft als Nachfolgeorganisation der frühere Freien Syrischen Armee, einem Bündnis von Rebellengruppen, bezeichnet wird, was allerdings nur bedingt zutrifft.

In mehreren Offensiven ist es der SNA in den vergangenen Jahren gelungen, Gebiete entlang der syrisch-türkischen Grenze Syriens zu erobern und besetzt zu halten. Erstmals trat sie bei der 2016 gestarteten »Operation Schutzschild Euphrat« in Erscheinung, als sie in Zusammenarbeit mit türkischen Streitkräften zuerst die an der Grenze gelegene Stadt Dscharabulus vom Islamischen Staat (IS) erobern konnte und von dort aus ostwärts in Gebiete vorrückte, die von den SDF gehalten wurden. Im darauffolgenden Februar nahmen sie auch das östlich von Aleppo gelegene al-Bab ein; ein weiteres Vorrücken wurde von der syrischen Armee verhindert.

Im Januar 2018 startete die SNA, erneut mit Unterstützung türkischer Truppen, ihre »Operation Olivenzweig«, in der sie das von Kurden kontrolliert Afrin im Nordwesten des Landes eroberte. Hunderttausende Kurden flohen aus der Region, in der die Türkei gezielt Araber ansiedelte, um die ethnische Zusammensetzung der in Afrin lebenden Bevölkerung grundlegend zu verändern.

Im August 2019 griff die Syrische Nationale Armee in Kämpfe in der Region Idlib ein, wo sie den Vormarsch der syrischen Armee gegen die Islamisten der HTS stoppen konnte. Später im Jahr unterstützte die SNA die türkische Armee bei der »Operation Friedensquelle«, bei der unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung die Grenzstädte Tal Abyad und Ras al-Ayn von den SDF erobert wurden.

Im Zuge ihrer militärischen Aktionen beging die SNA eine Vielzahl von Übergriffen und Verbrechen, darunter die Ermordung der kurdischen Politikerin Hevrin Kalaf, die am 12. Oktober 2019 an einem Checkpoint aufgehalten, schwer misshandelt und zusammen mit acht anderen Zivilisten ermordet wurde. Laut Obduktion waren ihr beide Beine gebrochen worden, ihr Körper wies zwanzig Schussverletzungen auf.

Konflikt mit Kurden

Ende November 2024 startete die HTS-Miliz von ihrer Hochburg in Idlib aus eine Offensive gegen vom Regime gehaltene Gebiete. Nach ungewöhnlich raschen Erfolgen und der Einnahme von Aleppo marschierten sie nach Süden in Richtung der Hauptstadt Damaskus. Der Rest ist bekannt: Am 8. Dezember 2024 floh Syriens Präsident Baschar al-Assad aus dem Land, womit nach über fünfzig Jahren die Ära der beiden Diktatoren Assad Senior und Assad Junior zu Ende ging.

Parallel zum Vormarsch der HTS begann auch die SNA im November 2024 eine Offensive, die sich freilich nicht gegen das Assad-Regime richtete, sondern gegen von den kurdisch dominierten SDF gehaltene Gebiete im Nordosten des Landes. Im Zuge ihres Vorrückens eroberte sie die nördlich von Aleppo gelegene und vom Regime gehaltene Stadt Tall Rifaat und die mehrheitlich von Arabern bewohnte, aber von den SDF kontrollierte Stadt Manbidsch dreißig Kilometer westlich des Euphrats. Die SDF wurden damit auf das Gebiet östlich des Flusses zurückgedrängt. Umkämpft ist seit Wochen vor allem der strategisch bedeutsame Tishrin-Damm.

Im Dezember letzten Jahres konnten die USA einen Waffenstillstand zwischen der Syrischen Nationalen Armee und den Syrischen Demokratischen Kräften vermitteln, der aber durch die SNA gebrochen wurde, die mittels türkischer Luftunterstützung Attacken gegen die an der türkisch-syrischen Grenze liegende Stadt Kobani unternahm. (Kobani war im Krieg gegen den IS 2014 weltweit bekannt geworden, als es den kurdischen Verteidigern mit Unterstützung der von den USA geführten Anti-IS-Koalition gelang, wochenlangen Angriffen des Islamischen Staats zu widerstehen.)

In den vergangenen Tagen hat die SNA ihre Kräfte entlang der Front mit den SDF massiv verstärkt, was auf eine bevorstehende Offensive hindeuten könnte. Begleitet wird dies von entsprechenden Drohungen sowohl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als auch des Außenministers Hakan Fidan.

Die Türkei hat nie einen Hehl daraus gemacht, worum es ihr in Nordsyrien geht: Sie betrachtet die autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien, in der die syrische Schwesterpartei der auch in Europa als Terrororganisation eingestuften Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) eine dominierende Rolle spielt, als inakzeptable Gefährdung der nationalen Sicherheit, die beseitigt werden müsse.

Dies muss aber nicht notwendigerweise in Form einer militärischen Eroberung geschehen. Die Türkei könnte davon absehen, sollten die SDF auf andere Art und Weise ausgeschaltet werden, etwa durch deren Auflösung bzw. Integration in eine neue syrische Armee, wie sie auch von HTS-Vertretern immer wieder gefordert wird, die jeglichen Vorstellungen über eine Dezentralisierung oder Föderalisierung des Landes kategorische Absagen erteilen.

Druck auf die Türkei?

Für die weitere Entwicklung wird auch eine Rolle spielen, wie sich maßgebliche Vertreter der internationalen Gemeinschaft verhalten und ob sie Druck auf die Türkei ausüben, um sie von einer weiteren Offensive ins kurdische Autonomiegebiet abzuhalten.

Von der Europäischen Union ist in dieser Hinsicht wenig zu erwarten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war jüngst in Ankara zu Besuch und brachte sozusagen als Gastgeschenk die Zusage von einer Milliarde Euro für die 3,5 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei bzw. für deren etwaige Rückführung mit. Die EU scheint außer dem Thema Flüchtlinge keine weitergehenden strategischen Ziele in Syrien zu verfolgen und wird wohl kaum der Türkei in die Parade fahren wollen.

Russland ist als klarer Verlierer der jüngsten Entwicklungen in Syrien vorerst aus dem Spiel. Seine Flotte hat den Stützpunkt Tartus in Richtung offenes Meer verlassen, und ob die neuen Machthaber die bestehenden Vereinbarungen hinsichtlich russischer See- und Luftwaffenbasen einhalten und eine weitere russische militärische Präsenz in Syrien dulden werden, ist noch unbekannt, aber nach allem, was die Russen den syrischen Rebellen und der Zivilbevölkerung angetan haben, doch eher unwahrscheinlich.

Die USA haben augenblicklich rund zweitausend Soldaten im kurdischen Autonomiegebiet stationiert. Offiziell, um den Kampf gegen den nach wie vor existierenden Islamischen Staat zu führen, inoffiziell aber auch, um eine Art Schutz für die verbündeten SDF gegen türkische bzw. SNA-Angriffe zu bieten. Ob Donald Trump nach seinem Amtsantritt als amerikanischer Präsident am 20. Januar an dieser Truppenpräsenz festhält oder die Soldaten abzieht, wie er es schon in seiner ersten Amtszeit tun wollte, kann niemand sagen. Aussagen Trumps in einer Pressekonferenz, in denen er Erdoğan jüngst als Freund und klugen Mann pries, geben aber wenig Anlass zur Vermutung, dass er türkischen Plänen gegenüber den Kurden großen Widerstand leisten werde.

Ein weiteres Mal drohen die Kurden somit als großer Verlierer dazustehen, denen zwar viele Versprechungen gemacht und deren Opfer im Kampf gegen den IS dankend registriert wurden, die aber letztlich im Regen stehengelassen werden. Dies zu verhindern wäre in Israels Interesse, aber die Möglichkeiten, die der jüdische Staat in dieser Frage hat, sind überschaubar.

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