Nach seiner Ernennung zum Präsidenten wandte sich Ahmad al-Sharaa in einer Rede zur Übergangsphase an die Bevölkerung. Dennoch es gibt große Bedenken hinsichtlich des Prozesses.
Am vergangenen Donnerstag bekräftigte der zum interimistischen Präsidenten ernannte Ahmed al-Sharaa seine Absicht, eine Verfassungserklärung zur Organisation der Übergangsphase in Syrien herauszugeben, und kündigte in seiner ersten Rede seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Baschar al-Assad vor etwa zwei Monaten einen Vorbereitungsausschuss für die Konferenz zum Nationalen Dialog an.
Zugleich gab al-Sharaa die Bildung eines weiteren Ausschusses bekannt, der sich mit der Wahl eines kleinen Legislativrats nach der Auflösung der vorherigen Volksversammlung (Parlament) befasst. Der neu ernannte Präsident betonte die Notwendigkeit, die Einheit des syrischen Territoriums zu wahren und wies darauf hin, dass zu den Prioritäten der kommenden Zeit die »Erlangung des inneren Friedens, die Verfolgung der Verantwortlichen für die Massaker und Verbrechen gegen Syrer und die Gewährleistung der Einheit und Souveränität des Landes unter einer einzigen Autorität« gehören.
Die Erklärungen erfolgten einen Tag nachdem die bewaffneten Fraktionen eine Konferenz abgehalten und weitreichende Entscheidungen getroffen hatten. Dazu zählen neben der Ernennung al-Sharaas zum Interimspräsidenten auch die Auflösung aller bewaffneten Fraktionen einschließlich al-Sharaas eigener Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die Neuordnung der Armee und die Auflösung der Sicherheitsdienste, die während des vorherigen Regimes existiert hatten. Die bewaffneten Fraktionen setzten die Verfassung außer Kraft, lösten die Volksversammlung auf und beendeten durch Verbot die Rolle der Baath-Partei, die Syrien jahrzehntelang regiert hatte.
Die genaue Dauer der Übergangszeit ist nicht bekannt. Der syrische Anwalt und Rechtsexperte Mazen Darwish erklärte dem amerikanischen TV-Sender Alhurra, dass sie »enden sollte, wenn es eine Verfassung und Wahlen gibt«, wobei solch eine Übergangszeit auf zwei bis vier Jahre festgelegt werden könnte. »Während des genannten Zeitraums soll die Verfassung geschrieben werden, und auf ihrer Grundlage werden Wahlen abgehalten.«
Ahmad al-Sharaa hatte bereits in früheren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass die Organisation von Wahlen im Land vier Jahre dauern könnte. Dabei erwähnte er auch, dass der Prozess der Ausarbeitung der Verfassung »den längst möglichen Zeitraum« in Anspruch nehmen könnte, den er auf drei Jahre festlegte.
Hindernisse Armee und Wirtschaft
Darüber hinaus steht die neue Regierung laut dem syrischen Politikwissenschaftler Bassam Al-Sulaiman während der Übergangsphase, unabhängig von deren Dauer, vor vielen Hindernissen. Diese hängen vor allem mit dem Wiederaufbau der Armee und der Integration bewaffneter Gruppen unter dem Dach des Verteidigungsministeriums zusammen. »Die aktuelle militärische Lage behindert die Vereinigung Syriens, da es östlich des Euphrats eine große, von Amerika unterstützte Militärmacht gibt«, womit die kurdisch geführten Streitkräfte Demokratischen Kräfte Syriens gemeint sind.
Al-Sulaiman betonte, dass es in der aktuellen Phase darum gehe, das Land zu verwalten, um den Zusammenbruch der Institutionen und Chaos zu vermeiden. Allerdings würden neben den politischen vor allem wirtschaftliche und soziale Herausforderungen weiterhin bestehen, besonders die Strom- und Energiekrise und die hohen Lebenshaltungskosten.
Neben den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Führung, die sich aus dem Verhalten von Hayat Tahrir al-Sham und der Tendenz von al-Sharaas Miliz, andere auszuschließen, ergeben. In diesem Zusammenhang sagte Fawaz Gerges, Professor für internationale Beziehungen an der Universität London, die HTS sei zwar seit 2017 flexibel und pragmatisch geworden, was aber nicht bedeute, dass es sich nicht mehr um eine islamistische Fraktion handle. »Was wir in der Zwischenzeit [zwischen 2017 und dem Strutz Assads] sehen konnten, als Hayat Tahrir al-Sham die Provinz Idlib kontrollierte, deutet darauf hin, dass Ahmed al-Sharaa pragmatisch ist, aber immer noch von der Idee einer Islamisierung des Staates fasziniert ist.«
Laut Gerges deuteten die Ereignisse der letzten zwei Monate in Syrien darauf hin, dass Hayat Tahrir al-Sham versucht, die Macht zu monopolisieren und alle Karten in der Hand zu halten, während sie sich gemäßigt und pragmatisch gibt. Zugleich sei es HTS gelungen, die meisten Oppositionsfraktionen und Teile der Bevölkerung, die beim Sturz Assads eine Rolle spielten, an den Rand zu drängen. Letztlich sendeten die Kontrolle über politische Entscheidungen durch Ahmed al-Sharaa und seine Verbündeten sowie das Versäumnis, die verschiedenen Oppositionsgruppen und Volksvertreter in die Planung des politischen Übergangs einzubeziehen, negative Botschaften über die Zukunft Syriens und die Möglichkeit der Errichtung eines demokratischen Systems aus.