Das ohnehin marode Gesundheitssystem ist durch syrische und russische Angriffe auf Spitäler völlig überlastet.
Inga Rogg, NZZ
Nach fast zehn Jahren Krieg und Zerstörung, Millionen von Vertriebenen und einem Machthaber, der stur seinen Kurs verfolgt, war bis vor kurzem der einzige Lichtblick in Syrien, dass das Land weitgehend von der Coronavirus-Pandemie verschont geblieben war. Den ersten Sars-CoV-2-Fall registrierten die Behörden Ende März. Fünf Monate später sind die Zahlen im Vergleich mit anderen Ländern immer noch sehr niedrig.
Nach offiziellen Angaben haben sich bisher rund 2600 Personen mit Sars-CoV-2 infiziert, 103 Personen seien daran gestorben. Doch das dürfte nur die Spitze des Eisberges sein. Ärzte und Pflegekräfte berichten von überfüllten Spitälern und mangelnder Schutzkleidung. Nur Patienten mit schwersten Symptomen würden aufgenommen, sagen Ärzte in Damaskus. Alle anderen würden nach Hause geschickt. (…)
Selbst in Regierungskreisen gibt es Zweifel an den offiziellen Zahlen. Der stellvertretende Leiter des Gesundheitsdepartements erklärte kürzlich, allein im Großraum von Damaskus könnte es mehr als 110.000 Infizierte geben. Da in Syrien kaum getestet wird, befürchten die Uno und Hilfsorganisationen, dass sich das Virus mittlerweile unkontrolliert im Land ausbreitet.
Sowohl der Anstieg der offiziellen Zahlen als auch viele Berichte wiesen auf eine hohe Ansteckungsrate hin, sagt eine Uno-Sprecherin gegenüber der NZZ. Dabei habe von Anfang an die Gefahr bestanden, dass ein Covid-19-Ausbruch das Gesundheitswesen schnell überfordern würde.
Systematisch hatten die russische und die syrische Luftwaffe in den Rebellenhochburgen medizinische Einrichtungen bombardiert. Mindestens die Hälfte der Spitäler ist zerstört oder beschädigt, die Hälfte der Ärzte und Pflegekräfte geflohen. Mediziner und Freiwillige versuchen mit Aufklärungskampagnen, die Öffentlichkeit zu Vorsichtsmaßnahmen anzuhalten.
(Aus dem Artikel „In Syrien droht sich Covid-19 ungehindert auszubreiten“, der in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist.)