Die Syrien-Konferenz vom vergangenen Freitag wurde allgemein als Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Positiv hervorgehoben wurde vor allem, dass endlich „alle wichtigen Akteure“ gemeinsam an einem Verhandlungstisch gesessen hätten – obwohl tatsächlich weder das Assad-Regime, noch die Anti-Assad-Rebellen, noch die Kurden in Wien vertreten waren (vom IS ganz zu schweigen). Dass am Ende ein gemeinsames Papier präsentiert wurde, kann schwerlich als Fortschritt gesehen werden, lesen sich die darin enthaltenen Punkte doch eher wie ein Wunschzettel ans Christkind als ein realistischer politischer Fahrplan. Ein wichtiges Ergebnis brachte das Gipfeltreffen allerdings schon, wenngleich es hierzulande überhaupt nicht zu Kenntnis genommen wurde: Mit der Einbindung des iranischen Regimes wurde dessen Wunsch, die libanesische Hisbollah auch in Zukunft via Syrien mit Waffen für ihren Krieg gegen Israel zu versorgen, als legitimes politisches Interesse anerkannt.
Aufgesetzter Prozess, glatte Themenverfehlung
Gudrun Harrer bezeichnete die Inszenierung in Wien als einen „aufgesetzten Prozess“, der mit der Hypothese beginne, „dass man sich im Laufe des Weges über das exakte Ziel einigen kann, über das im Moment keine Einigung zu erreichen wäre“. Es sei so, „als ob jemand die Idee zu einem Film hätte – Drehbuch gibt es aber keines, und die Schauspieler sind auch noch nicht ausgesucht.“ (Standard, 2. Nov. 2015)
Harrers Urteil fiel damit noch recht milde aus, war der Gipfel in Wien in Wahrheit doch eine glatte Themenverfehlung. In dem zum Abschluss des Treffens präsentierten Neun-Punkte-Papier wurden die eigentlichen Ursachen des Krieges, Assad und das von ihm geführte Regime, ausgeklammert. Anthony Cordesman vom Center for Strategic and International Studies schreibt in einem lesenswerten Kommentar zur Syrien-Konferenz: „The negotiators need to remember why Syria exploded into violence. It was not because of outside interference, extremist voices and actors, or the actions of some minority. It exploded because – as World Bank ranking from 1996 to the present show – Assad not only fell back upon repression every time he was challenged, he provided some of the worst and most corrupt governance in the world – impoverishing much of Syria‘s population in the process.“
So schrecklich der IS unzweifelhaft sei, so wenig dürfe aus dem Blick geraten, dass die Zahl an Opfern, die er in Syrien zu verantworten habe, recht begrenzt ist im Vergleich zu den Opferzahlen, die das Assad-Regime bei seinem Kampf gegen die Opposition verursacht habe: „If one takes a hard look at the map, at least 80% of the some 250,000-300,000 civilian dead are the product of the pro-Assad forces fighting rebels other than ISIS, and the same is true of some 750,000 to 1,000,000 injured civilians.“
Die Assad-Familie, die seit viereinhalb Jahrzehnten das Land herunterwirtschaftet
Dem Vernehmen nach soll in Wien hinter verschlossenen Türen heftig über die zukünftige Rolle von Diktator Assad gestritten worden sein – kein Wunder, wenn man an die völlig konträren Positionen beispielsweise des iranischen Regimes und Saudi-Arabiens denkt. Aber ein Prozess, der die Beendigung des Krieges zum Ziel hat, dessen zentrale Ursache aufgrund der bestehenden Differenzen jedoch außen vor lässt, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Schon droht der Iran damit, an weiteren Treffen nicht mehr teilzunehmen, weil einige der Staaten, allen voran Saudi-Arabien, keine „konstruktive“ Rolle gespielt hätten.
Wunschzettel
Über die Köpfe der syrischen Kriegsparteien hinweg, die allesamt nicht anwesend waren, einigten sich die Teilnehmer der Wiener Konferenz auf ein neun Punkte umfassendes Papier, das mit der Realität nur recht wenig zu tun hat. Der Ton wurde schon in Punkt eins vorgegeben, in dem die „Einheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität“ sowie der „säkulare Charakter Syriens“ als „grundlegend“ bezeichnet wurden. Angesichts der Tatsache, dass es Syrien als einheitlichen und unabhängigen Staat längst nicht mehr gibt und keine Macht zu sehen ist, die in der Lage wäre, eine solche Einheit wieder herzustellen, war das nicht mehr als ein frommer Wunsch. Und wer soll glauben, dass das iranische Regime, Saudi-Arabien oder die Türkei ein Interesse an der Aufrechterhaltung des „säkularen Charakters“ Syriens haben?
Der offenkundige Widerspruch zwischen dem, was angeblich gemeinsam beschlossen wurde, und dem, wofür die Teilnehmer des Gipfels wirklich stehen, zog sich auch durch andere Punkte. Die Rechte aller Syrer sollen geschützt werden, hieß es in Punkt drei, die Syrer allein sollten über die Zukunft des Landes entscheiden in Punkt acht – geradezu lächerliche Bekenntnisse, die da etwa vom iranischen Regime abgegeben wurden, das seit Jahren an der Seite des Assad-Regimes und zunehmend auch an vorderster Front die Rechte der Syrer mit Füßen tritt und dafür sorgt, dass diese eben nicht über ihre eigene Zukunft entscheiden können.
Freie Wahlen wurden in Punkt sieben in Aussicht gestellt, ohne auch nur anzudeuten, wie solche in einem von verschiedenen Kriegsherren kontrollierten und zum großen Teil zerstörten Land mit Millionen internen und externen Flüchtlingen durchgeführt werden könnten. Freie Wahlen, zu denen sich Russland, Saudi-Arabien oder der Iran bekannt haben, die (unterschiedlich) weit davon entfernt sind, ihre eigenen Bevölkerungen frei wählen zu lassen.
Folgen einer Fassbombe in Aleppo
Alle diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges müssten beschleunigt werden, hieß es in Punkt vier. Was davon zu halten war, zeigte sich unmittelbar nach dem Treffen in Wien: Einmal mehr machte Russland dem Assad-Regime die diplomatische Mauer, indem es eine UN-Resolution verhinderte, mit der der Einsatz der verheerenden Fassbomben verboten worden wäre, mit denen die syrische Zivilbevölkerung seit Jahr und Tag terrorisiert wird.
Terrorunterstützung als legitimes Anliegen?
Wenn schon die vereinbarten neun Punkte kaum das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden, sei immerhin der ‚Fortschritt‘ zu verbuchen gewesen, dass in Wien – mit der nennenswerten Ausnahme der Syrer – erstmals alle am Krieg beteiligten Akteure an einem Tisch versammelt waren. Das bezog sich in erster Linie auf die Teilnahme des iranischen Regimes. Ohne den Iran, so lautet ein oft wiederholtes Mantra, sei ein Frieden in Syrien nicht möglich.
Warum die islamistische Führung in Teheran im syrischen Blutvergießen so aktiv mitmischt, ist ein offenes Geheimnis: Sie will das Assad-Regime an der Macht und vor allem die Landverbindung zur vom Iran unterhaltenen Terrorgruppe Hisbollah im Libanon erhalten. Stürzt Assad, drohen die militärischen Nachschubwege zu versiegen, auf die die Partei Allahs in ihrem Krieg gegen Israel angewiesen ist.
Hisbollah-Fahne
Die viel geforderte „Lösung“ der Syrien-Krise unter Einbeziehung des iranischen Regimes bedeutet nichts weniger, als dass dessen Ansprüche in Syrien als legitime Interessen anerkannt werden. Frieden in Syrien wird damit davon abhängig gemacht, dass die Terrororganisation Hisbollah weiterhin ungestört mit iranischen Waffen versorgt werden kann – obwohl genau das mit der UN-Resolution 1701 explizit verboten wurde und durch im Libanon stationierte UN-Truppen eigentlich unterbunden werden sollte.
Während in Wien unter Punkt sechs der gemeinsame Kampf gegen den IS und andere Terrorgruppen verkündet wurde, wurde dem iranischen Regime bedeutet, dass seine Aufrüstung der Hisbollah weiter ungestört vonstattengehen kann. Dass dadurch die Bedrohung Israels durch Zigtausende im Libanon stationierte Raketen und fortgeschrittene Waffensysteme zunehmen wird, scheint nicht weiter zu stören. Lee Smith brachte das Ergebnis einer Politik auf den Punkt, die glaubt, mithilfe des iranischen Regimes für „Stabilität“ sorgen zu können: „The Obama administration has legitimized Iran‘s supply line to Hezbollah. By bringing Iran to Vienna, the White House has legitimized the Islamic Republic‘s war against Israel.