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Wird Syrien zum Kampfplatz zwischen der Türkei und Israel?

Wird der türkische Präsident Erdogan antiisraelische Kräfte in Syrien unterstützen?
Wird der türkische Präsident Erdogan antiisraelische Kräfte in Syrien unterstützen? (Imago Images / ZUMA Press Wire)

Die politische Krise in Syrien könnte zwar eine Gelegenheit für einen konstruktiveren Umgang der beiden Staaten sein, aber Ankara und Jerusalem haben auch gegensätzliche Interessen und Ziele. 

Israel Kasnett

Die Beziehungen Israels zu Ankara waren im Laufe der Zeit von Schwankungen geprägt, die von Phasen der Zusammenarbeit, aber auch der Spannung gekennzeichnet waren. Die gegenwärtige Haltung der Türkei ist jedoch zunehmend von Unschlüssigkeit und Feindseligkeit bestimmt, insbesondere nach dem Hamas-Überfall auf Israel im Oktober 2023.

Obwohl Mitglied der NATO, trug die Türkei zur Untergrabung der Sicherheit Israels durch die Unterstützung von Gruppen mit terroristischen Verbindungen bei. So vereitelte Israel beispielsweise im Juni einen von der Türkei aus organisierten Angriff der Hamas und Ankara gestattete den aus Katar ausgewiesenen Hamas-Führern, sich in der Türkei niederzulassen.

Während Präsident Erdogan Israel wiederholt aufforderte, von Militäraktionen im Libanon und in Syrien abzusehen, scheint er selbst dabei zu sein, eine gegen kurdische Gruppen in Syrien zu starten. Darüber hinaus unterstützt er die Terrorgruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die von Abu Mohammed al-Julani (richtiger Name: Ahmed al-Sharaa) angeführt wird.

Im April verhängte die Türkei ein Handelsembargo gegen Israel, und im Juli drohte Erdogan in einer Rede vor Mitgliedern seiner Regierungspartei mit einer Invasion des jüdischen Staates und beschuldigte Israel der vorsätzlichen Ermordung palästinensischer Zivilisten. Laut Experten verstoßen jedoch nicht die israelischen Militäraktionen, sondern jene der Türkei in Irakisch-Kurdistan gegen das humanitäre Völkerrecht und geben Anlass zur Sorge bezüglich der Unantastbarkeit von Menschenrechten.

Bequemer Weg

Die offene Unterstützung von Gruppen wie Hamas und HTS, gepaart mit den widersprüchlichen Handlungen und der expliziten präsidentiellen Rhetorik, wirft Fragen nach der Zuverlässigkeit der Türkei und ihrem Engagement für die regionale Stabilität auf. Trotzdem gab es seitens der NATO kaum Protest gegen die türkische Vorgangsweise, was die Komplexität der internationalen Diplomatie innerhalb des Bündnisses unterstreicht.

Dror Zeevi vom Fachbereich Nahoststudien an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba ist der Ansicht, dass die Türkei den NATO-Vertrag nicht mehr als eine ihrer bestimmenden Doktrin betrachtet: »In den letzten Jahren hat die Türkei mit China geflirtet und Waffen sowie eine Nuklearanlage von Russland gekauft. Sie steht jetzt den Chinesen und Russen näher als den USA.«

Zu Erdogans Bestrebungen zählten schon immer die »Befreiung Jerusalems« und die Wiedererrichtung eines osmanischen Reichs. Ein von sunnitischen Islamisten geprägtes Syrien könnte laut Zeevi einen für den türkischen Präsidenten bequemen Weg zur Erfüllung dieses langfristigen Traums bieten: »In dem Maß, in dem dies tatsächlich sein Traum und nicht nur internes Getöse ist, ist es unwahrscheinlich, dass Erdogan diese Ziele direkt verfolgt. Aber unter den richtigen Bedingungen könnte er jene Kräfte unterstützen, die in diese Richtung drängen; so, wie er bis vor Kurzem die Hamas unterstützt hat.«

Der Sprecher des israelischen Außenministeriums Oren Marmorstein reagierte auf die Kritik der Türkei an den jüngsten Militäraktionen Israels in Syrien, indem er Ankara Heuchelei vorwarf und erklärte, dass die türkischen Militäroperationen in Syrien und die Besetzung von deutlich mehr syrischem Territorium als die vorübergehende Kontrolle Israels von Teilen der Golanhöhen die Doppelmoral der türkischen Regierung unterstreichen.

Kurz darauf wies der israelische Ministeriumssprecher die türkischen Aussagen auf X zurück. »Die Fakten sehen wie folgt aus: Die Türkei ist systematisch in syrisches Gebiet eingedrungen, ein Prozess, der mit Militäroperationen in den Jahren 2016, 2018 und 2019 begann und bis heute andauert.« Die Türkei sei »das letzte Land, das von einer Besetzung in Syrien sprechen kann, da fünfzehn Prozent des syrischen Territoriums unter der Kontrolle von Stellvertretern stehen, die unter ihrer Schirmherrschaft agieren. Es gibt keine Rechtfertigung für die Fortsetzung der türkischen Aggression und Gewalt gegen Kurden in Syrien.«

Kurs halten

Nimrod Goren, leitender Mitarbeiter für israelische Angelegenheiten am Middle East Institute in Washington, beklagte den derzeitigen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten: »Der größte Schaden, der den bilateralen Beziehungen zwischen Israel und einem Land der Region nach dem 7. Oktober 2023 zugefügt wurde, entstand durch die Türkei.«

Goren erinnerte an das nur wenige Wochen vor dem Hamas-Überfall auf Israel abgehaltene Gespräch in New York zwischen Netanjahu und Erdogan, das die Zusage einer verstärkten Zusammenarbeit der beiden Staaten ergab, doch »nach der Unterstützung der Hamas durch die Türkei, der scharfen Kritik an Israel und der Entscheidung, die Handelsbeziehungen einzuschränken, sind die Beziehungen nun auf einem Tiefpunkt angelangt. Die israelische Diplomatie hat dazu beigetragen, indem sie die Botschaft in Ankara monatelang ohne Botschafter beließ und die Türkei auf undiplomatische Weise über soziale Medien kritisierte.« 

Der Wissenschaftler rät eindringlich, den früheren positiven Kurs beizubehalten und sich nicht zu sehr von Erdogans Feindseligkeit mitreißen zu lassen: »Wir haben solch eine Dynamik schon einmal erlebt, aber es sei darauf hingewiesen, dass Israel und die Türkei seit 1949 ununterbrochene diplomatische Beziehungen unterhalten, die trotz dramatischer Höhen und Tiefen nie abgebrochen wurden.«

Seiner Ansicht nach ist es »angesichts aller Missstände und Schwierigkeiten an der Zeit, ein verbessertes Klima zwischen beiden Ländern anzustreben. Syrien war immer schon Thema beider Staaten, und mit dem Sturz von Präsident Assad ist es zwingend geworden, sich bezüglich Syrien zu koordinieren.«

Goren wies auf das jüngste bilaterale Treffen von Sicherheitsbeamten zu Fragen im Zusammenhang mit der Hamas hin und riet dazu, »dass solche Konsultationen thematisch nun auch auf Syrien ausgeweitet« werden sollten, und zwar mit der Unterstützung internationaler Akteure, »um die feindselige Rhetorik abzumildern«.

Zwar herrsche in Israel momentan wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit Erdoğan und es mangelt an Vertrauen in ihn, »insbesondere nach zwei gescheiterten Annäherungsversuchen in den letzten Jahren, allerdings stehen tiefgreifende nationale Interessen auf dem Spiel, die zumindest die professionellen Ebenen – Diplomaten und Sicherheitsbeamte – dazu zwingen, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, eine Eskalation zu verhindern und eine gewisse Koordination anzustreben«.

Jerusalem sollte seine Beziehung zu Ankara derzeit sorgfältig prüfen, da die Syrienkrise »die Möglichkeit eines realpolitischen Umgangs mit allen Nachbarstaaten, einschließlich der Türkei, zu pflegen, um die dschihadistischen Elemente einzudämmen und eine demokratische Herrschaft in Syrien zu etablieren«.

Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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