Der Chef der UN-Atomaufsichtsbehörde Rafael Grossi gab die Untersuchung von vier Standorten bekannt, darunter die Anlage in Deir Ezzor, die 2007 von Israel bombardiert worden war.
Die neue syrische Regierung habe zugestimmt, Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation der Vereinten Nationen (IAEO) sofort Zugang zu mutmaßlichen ehemaligen Nuklearstandorten zu gewähren, teilte der Chef der Behörde am Mittwoch der Associated Press mit. IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi war in Damaskus mit Präsident Ahmed al-Sharaa und anderen Beamten zusammengetroffen.
Laut Grossi habe al-Sharaa Interesse an der Nutzung der Kernenergie für Syrien in der Zukunft bekundet; Grossi zeigt sich demgegenüber offen: »Warum nicht?« Das Ziel seiner Behörde sei es, »vollständige Klarheit über bestimmte Aktivitäten zu schaffen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben und nach Einschätzung der IAEO wahrscheinlich mit Kernwaffen in Verbindung stehen«. Grossi beschrieb die neue syrische Regierung als »entschlossen, sich der Welt und der internationalen Zusammenarbeit zu öffnen« und zeigte sich zuversichtlich, den Inspektionsprozess innerhalb weniger Monate abschließen zu können.
Zuletzt besuchte ein IAEO-Team 2024 einige Standorte, als der ehemalige Präsident Baschar al-Assad noch an der Macht war. Seit seinem Sturz im Dezember bemüht sich die IAEO um die Wiederherstellung des Zugangs zu jenen Anlagen, die mit dem syrischen Atomprogramm in Verbindung stehen.
Al-Sharaa kooperativ
Es wird vermutet, dass Syrien unter Assad ein umfangreiches, geheimes Atomprogramm betrieben hat, zu dem auch ein nicht deklarierter Atomreaktor gehörte, der von Nordkorea in der Provinz Deir Ezzor im Osten des Landes errichtet wurde. Die IAEO beschrieb den Reaktor damals als »nicht für die Stromerzeugung ausgelegt«, was die Befürchtung aufkommen ließ, dass Damaskus dort durch die Produktion von waffenfähigem Plutonium nach Atomwaffen strebte. Der Reaktorstandort wurde erst bekannt, nachdem Israel im Jahr 2007 durch Luftangriffe die Anlage zerstört hatte. Syrien planierte den Standort später und antwortete nie vollständig auf die Fragen der IAEO.
Israel bestätigte erst 2018 offiziell, die Bombenangriffe durchgeführt zu haben. Unmittelbar nach dem als Operation Orchard bekannten Angriff herrschte in Israel die Meinung vor, es würde Assad helfen, sein Gesicht zu wahren und von einer Vergeltungsmaßnahme abzusehen, die zu einem umfassenden Krieg hätte führen können, würden die Nachrichten über die Aktion so weit wie möglich unter Verschluss gehalten.
Nun sollen IAEO-Inspektoren den Reaktor in Deir Ezzor sowie drei weitere damit verbundene Standorte inspizieren. Zu den anderen Anlagen, die unter IAEO-Kontrolle stehen, zählen ein Miniatur-Neutronenreaktor in Damaskus und eine Anlage in Homs, in der Yellowcake-Uran verarbeitet werden kann. »Wir versuchen, den Fokus auf diejenigen zu verengen, die von echtem Interesse sein könnten.«
Zwar gebe es keine Anzeichen für eine Freisetzung von Strahlung aus den Anlagen, doch sei die Aufsichtsbehörde besorgt, dass »angereichertes Uran irgendwo lagert und wiederverwendet, geschmuggelt oder gehandelt werden könnte«. Al-Sharaa, der seit seiner Machtübernahme um die Gunst westlicher Regierungen wirbt, habe sich »sehr positiv gegenüber Gesprächen mit uns und der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen gezeigt«, so Grossi.
Neben der Wiederaufnahme der Inspektionen sei die IAEO bereit, Geräte für die Nuklearmedizin zu liefern und beim Wiederaufbau der Infrastruktur für Strahlentherapie, Nuklearmedizin und Onkologie in einem durch fast vierzehn Jahre Bürgerkrieg stark geschwächten Gesundheitssystem zu helfen.
»Der Präsident hat mir gegenüber Interesse bekundet, in Zukunft auch die Möglichkeit der Nutzung von Kernenergie zu prüfen«, sagte Grossi. Eine Reihe anderer Länder in der Region, darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Jordanien, verfolgen ebenfalls Pläne zur Nutzung der Kernenergie. Laut dem IAEO-Generaldirektor werde Syrien sein Augenmerk höchstwahrscheinlich auf kleine, modulare Reaktoren legen, die kostengünstiger und einfacher zu installieren sind als herkömmliche große.