HTS-Chef Ahmed al-Sharaa skizzierte erstmals seine Pläne für eine Neuordnung. Währenddessen werden Vertreter des Assad-Regimes verhaftet.
Der Führer der siegreichen Islamistenmiliz HTS, Ahmed al-Sharaa, hat in einer Stellungnahme Einblicke in seine Pläne zur Neugestaltung Syriens nach dem Sturz des Assad-Regimes gegeben. Darin betonte er die Relevanz politischer Reformen, des Wiederaufbaus und die Inklusivität einer neuen Ordnung im Land.
Al-Sharaa zufolge müsse der erste Schritt der Neuordnung in der Erarbeitung einer neuen Verfassung bestehen: »Die Ausarbeitung der Verfassung könnte etwa drei Jahre dauern, wobei ein solider und dauerhafter Rahmen angestrebt wird.« Eine »nationale Dialogkonferenz«, an der Vertreter aller Teile der syrischen Gesellschaft teilnehmen sollen, würde die Basis für Konsensbildung und Versöhnung bieten. Um friedliche und faire Wahlen zu organisieren, könnte ein weiteres Jahr vonnöten sein.
Im Zuge dieser Dialogkonferenz werde al-Sharaa die Auflösung der HTS-Miliz verkünden, die als wichtiger Schritt zur Festigung der Autorität der Übergangsregierung gesehen wird. Er betonte die Rolle der Kurden als »integraler Bestandteil der syrischen Bevölkerung«. Wie alle anderen bewaffneten Gruppen müssten aber auch die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte ihre Waffen aufgeben bzw. in eine künftige Armee integriert werden. Eine klare Absage erteilte er Vorstellungen, denen zufolge Syrien ein föderales System erhalten sollte: »Es wird keine Teilung und keinen Föderalismus geben.«
Abrechnung mit dem Regime
Währenddessen mehren sich Berichte über Festnahmen von Vertretern des gestürzten Assad-Regimes. Die syrische staatliche Nachrichtenagentur meldete am Samstag die Verhaftung einer Reihe von Mitglieder aus »Überresten der Assad-Milizen« in der Region um Latakia, einer ehemaligen Hochburg des Regimes. Auch in anderen Regionen des Landes werde nach Verantwortlichen für die Verbrechen des alten Syrien gesucht.
Letzte Woche ist es beim Versuch der Verhaftung von Kanjou al-Hassan, dem für etliche Todesurteile verantwortlichen ehemaligen Chef der Militärjustiz, zu tödlichen Konfrontationen gekommen, als Anhänger des gestürzten Regimes Sicherheitskräfte in einen Hinterhalt gelockt hatten. Dabei wurden vierzehn Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet.
Am vergangenen Freitag wurde darüber hinaus aus dem Libanon die Verhaftung etlicher Mitglieder der Assad-Familie gemeldet, die versucht haben sollen, sich mit gefälschten Pässen vom Beiruter Flughafen nach Kairo abzusetzen. Zahlreiche Vertreter des ehemaligen Regimes sollen versuchen, sich über den Libanon in Sicherheit zu bringen.
So wichtig es unzweifelhaft ist, die Verantwortlichen für die zahllosen Verbrechen der Vergangenheit zur Verantwortung zu ziehen, so sehr kritisieren Menschenrechtsorganisationen den scheinbar unorganisierten Charakter der Abrechnung, die sich in diesen Tagen vollzieht. »Wir brauchen eine Übergangsjustiz, keine Rachejustiz«, zitierte die New York Times Rami Abdulrahman, den Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. »Das neue Syrien sollte ein Staat der Gerechtigkeit, der Demokratie, der Gleichheit und des Rechts sein.« Statt mehr oder minder willkürlich Verdächtige zu verhaften, sollten Listen mit den Namen jener veröffentlicht werden, die gesucht werden. Das neue Syrien, so Abdulrahman, sollte nicht »die Fehler des kriminellen Assad-Regimes wiederholen«.