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Syrien: Ende der Eiszeit?

Soldaten in Syriens Hauptstadt Damaskus vor Plakaten von Diktator Assad
Soldaten in Syriens Hauptstadt Damaskus vor Plakaten von Diktator Assad (© Imago Images / Sipa USA)

Nach zwölf Jahren der Isolation sind zahlreiche arabische Staaten bereit, ihre Beziehungen zum syrischen Regime zu normalisieren.

Anfang Mai verkündete die Arabische Liga, dass Syrien wieder Teil der Organisation sei. Beim Gipfeltreffen am 19. Mai im saudi-arabischen Dschidda nahm Präsident Baschar al-Assad als Repräsentant Syriens teil. Es war dies das erste Mal seitdem die Mitgliedschaft Syriens 2011 ausgesetzt wurde.

Dieser Schritt kam nicht überraschend. Erste Initiativen zur Normalisierung der Beziehungen mit Syrien gab es seit 2018, als die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Botschaft in Damaskus wieder eröffneten. Im März 2022, am Jahrestag des Syrienkonflikts, empfing Kronprinz Sheikh Mohammed bin Zayed al-Nahyan Präsident Assad in Abu Dhabi, was sein erster Besuch in einem arabischen Land seit Kriegsbeginn war. Auch der Nachbarstaat Türkei ist um eine Normalisierung zum Assad-Regime bemüht. Im Januar bekundete Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Interesse an einem Treffen mit Assad. Auf einer Konferenz in Moskau Anfang Mai einigten sich türkische und syrische Diplomaten auf eine Roadmap, welche die politische Annäherung zwischen Ankara und Damaskus vorantreiben soll.

Assad polarisiert

Die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Saudi-Arabien und Katar haben über Jahre hinweg syrische Rebellen finanziell, durch Waffenlieferungen und, im Falle Katars, mithilfe des TV-Senders Al-Jazeera auch medial unterstützt. Mit dem Kriegseintritt Russlands 2015 und dem Fall der strategisch wichtigen Stadt Aleppo im Dezember 2016 zementierte das Regime seine Position, wodurch ein möglicher Führungswechsel in weite Ferne rückte. Seit damals zogen die Golfstaaten sich mehr und mehr aus dem Konflikt zurück. 

Doch nicht alle befürworten eine bedingungslose Rehabilitierung des Assad-Regierung. Katar, selbst Mitglied der Arabischen Liga, kritisierte die Wiederaufnahme Syriens in die Organisation, beugte sich aber dem Wunsch der Mehrheit. Bis heute beharrt das Emirat jedoch auf seinem Standpunkt, die verübten Menschenrechtsverletzungen hätten Assad und seine Gefolgsleute jeglicher Legitimität beraubt. Katar steht damit in einer Linie mit den USA, der EU und Großbritannien, die an ihren Sanktionen gegen Syrien festhalten. Sie werfen dem Regime Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen wie den Einsatz von Giftgas, Massenverhaftungen und Folter vor und fordern, das Assad-Regime müsse dafür zur Rechenschaft gezogen werden, bevor es zu einer Normalisierung der Beziehungen kommen könne. 

Herrscher über Ruinen

Assad mag zwar vorerst seine Herrschaft über Syrien behaupten, doch das Land, das er regiert – etwa siebzig Prozent Syriens, der Rest wird immer noch von Oppositionellen gehalten –, ist ein Trümmerfeld. Der Krieg hat im gesamten Land Infrastruktur und Industrien zerstört. Syrien kämpft mit einer galoppierenden Inflation, und ein großer Teil der Bevölkerung ist verarmt. Sowohl in den von der Regierung als auch in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten herrscht Treibstoffmangel. Der offizielle Preis für zwanzig Liter Benzin entsprach im Januar dem durchschnittlichen Monatsgehalt eines Beamten.

Während der zwölf Kriegsjahre starb etwa eine halbe Million Menschen. Von der Vorkriegs-Einwohnerzahl von 21 Millionen befinden sich zwölf Millionen auf der Flucht, etwa die Hälfte davon im Ausland. 

Dennoch ist Syrien für die arabischen Nachbarstaaten langfristig wirtschaftlich interessant. Bisher hielten die amerikanischen Sanktionen die Verbündeten der USA in der Region davon ab, größere Investitionen in Syrien zu tätigen. Aber Abu Dhabi und andere arabische Hauptstädte werden sich am Wiederaufbau Syriens beteiligen, sobald die Sanktionen aufgehoben oder gelockert werden. Darüber hinaus erhoffen sich die Nachbarstaaten, die von Syrien ausgehende Drogenschwemme und die Flüchtlingskrise durch die Normalisierung der Beziehungen unter Kontrolle zu bekommen.

Narco-Staat Syrien

Seit Jahren hat die Region mit einem wachsenden Drogenproblem zu kämpfen. Neben Crystal Meth werden vor allem große Mengen an Captagon konsumiert. Produziert wird dieses Amphetamin in Syrien, von wo es in die umliegenden Staaten exportiert wird. Da das syrische Regime nicht nur tatenlos zusieht, sondern von diesem milliardenschweren Wirtschaftszweig auch profitiert, sprechen Experten bereits von einem Narco-Staat.

Zielländer sind in erster Linie die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, wobei der Irak und Jordanien als wichtige Transitländer gelten. Nach Angaben des jordanischen Militärs hat die Armee in den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 mindestens dreißig Schmuggler getötet und Versuche vereitelt, sechzehn Millionen Captagon-Pillen aus Syrien nach Jordanien zu transportieren. Auch im Irak werden regelmäßig riesige Mengen des Aufputschmittels konfisziert.

Massenrückkehr unrealistisch 

Seit Kriegsausbruch haben rund sechs Millionen Syrer das Land verlassen, von denen die meisten in die Nachbarstaaten geflohen sind, wo sie sich bis heute aufhalten. Die Türkei beherbergt mit rund 3,5 Millionen die größte Anzahl an Syrern. Im Libanon leben ca. 800.000 Geflohene, viele in informellen Zeltsiedlungen, die keine offiziellen Flüchtlingslager sind. Rund 660.000 Flüchtlinge befinden sich in Jordanien, über 260.000 im Irak, die meisten in der Region Kurdistan im Norden des Landes, und mehr als 145.000 in Ägypten.

Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Aufnahmeländern wie dem Libanon oder Ägypten, aber auch der Türkei, wächst der gesellschaftliche Druck auf die politischen Entscheidungsträger. Diese hoffen, in Kooperation mit Assad einen Großteil der Flüchtlinge zur Rückkehr nach Syrien bewegen zu können.

Die freiwillige Massenrückführung von Hunderttausenden oder gar Millionen kann jedoch nicht ohne arabische oder internationale Sicherheitsgarantien erfolgen, die nicht vorhanden sind. Rückkehrer werden immer noch regelmäßig verhaftet, wenn sie im Verdacht stehen, regimekritisch zu sein. So warnte Anfang Juni der UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk vor Abschiebungen nach Syrien, da die Menschenrechtslage äußerst prekär sei. 

Hinzu kommt die schlechte wirtschaftliche Situation, die Rückkehrern keine Aussicht auf ein gutes Leben ermöglicht. Bleiben die harschen Sanktionen gegen Syrien aufrecht, wird sich das Leben für die Syrer auf absehbare Zeit nicht verbessern. 

Syrienpolitik in der Sackgasse

Die Syrienpolitik des Westens befindet sich in einer Sackgasse. Assad zu rehabilitieren, ohne dass vom Westen gestellte Bedingungen auch nur ansatzweise erfüllt werden, können die USA nicht akzeptieren. Gleichzeitig ist klar, dass Assad mithilfe Russlands und des Irans fest im Sattel sitzt und der Sturz des Regimes gescheitert ist.

Wie der Syrien-Analyst und ehemaliger leitender Forscher bei Human Rights Watch, Nadim Houry, sagt, habe der Westen sich in den letzten Jahren nicht um die syrische Sache gekümmert, sondern den Konflikt weitgehend regionalen Akteuren und Russland überlassen. Es gibt vom Westen zwar klare Ansagen, die Beziehungen zum Regime nicht zu normalisieren, gleichzeitig würden die USA und die EU aber auch keinen Gegenvorschlag anbieten.

Durch die Annäherung der arabischen Staaten wird Assads Position nun weiter gefestigt. Noch gehen die Partner Amerikas in der Region mit den US-Sanktionen mit. Aber das kann sich ändern. Seit dem Jahr 2016 unterstützt China Syrien verstärkt mit Hilfslieferungen und kündigt Wiederaufbauprogramme an. Im Zuge des Erdbebens vom Februar hat der chinesische Außenminister Washington aufgefordert, die Sanktionen gegen Syrien nicht nur temporär, sondern vollständig aufzuheben. – Möglicherweise liegen die zukünftigen Entwicklungen in Syrien schon längst nicht mehr in den Händen des Westens.

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