Die beteiligten Länder müssen über einen erneuerten Atomvertrag entscheiden. Das Problem des iranischen Atomprogramms wäre damit aber nicht beseitigt.
Die Verhandlungen zwischen dem iranischen Regime und den fünf UN-Sicherheitsratsvetomächten plus Deutschland (P5+1) über eine Erneuerung des Wiener Abkommens über das iranische Nuklearprogramm waren von Anfang an ungewöhnlich. Um nur zwei Punkte hervorzuheben: Da war einerseits der Iran, der vorgab, die drückenden Wirtschaftssanktionen so schnell wie möglich loswerden zu wollen, der es gleichzeitig aber mit dem Verhandeln gar nicht eilig hatte und immer wieder wochen-, ja monatelange Unterbrechungen verursachte.
Andererseits waren es Verhandlungen, bei denen die zwei wichtigsten Parteien überhaupt nicht miteinander sprachen, weil das iranische Regime, anders als noch 2015, gar keine direkten Unterhaltungen mit den Amerikanern mehr führen wollte und die Europäer als Vermittler fungieren mussten.
Nicht minder ungewöhnlich als die Verhandlungen waren, ist jetzt auch deren Ergebnis: Ein Kompromissvorschlag, den ein EU-Diplomat als »endgültigen Text« bezeichnet, der »nicht neu verhandelt werde«. Jetzt müssen die involvierten Parteien den Vorschlag, den EU-Außenkommissar Josep Borell einen »sehr guten Kompromiss für alle Beteiligten« nennt, prüfen und dazu »Ja oder Nein sagen«, so Borell.
Zahlreiche Stolpersteine
Die Sache hat allerdings mehrere Haken. Erstens würde mit der Zustimmung aller erst einmal ein mühsamer Prozess beginnen, der tatsächlich zur Wiedereinsetzung des »Joint Comprehensive Plan of Action« mit all seinen (heute mehr noch als vor sieben Jahren) unzureichenden Beschränkungen des iranischen Atomprogramms führen würde. »Die Abfolge, was welche Seite wann tun muss, damit der JCPOA wieder als erfüllt gilt, ist kompliziert«, bemerkt Gudrun Harrer – und sie wird, so muss man hinzufügen, erst wieder mit jeder Menge Verzögerungen, divergierenden Interpretationen und neuen Verhandlungen einhergehen. Gut möglich, dass der Atomvertrag erst dann als erfüllt gelten könnte, wenn dessen wesentlichen Bestimmungen in wenigen Jahren schon ausgelaufen sind.
Zweitens mag der Text des Kompromissvorschlags »endgültig« sein, aber entscheidende Fragen sind offenbar ausgeklammert und auf später verschoben worden, darunter die iranische Forderung der Streichung der Revolutionsgarden von der US-Terrorliste. US-Präsident Joe Biden hat nicht zuletzt wegen des massiven Gegenwinds, den er sich in seiner Heimat einfangen würde, mehrfach erklärt, dieser iranischen Forderung nicht nachzukommen.
Drittens ist man im Iran offenbar nicht der Ansicht, der Vorschlag sei endgültig. Die iranische Nachrichtenagentur IRNA etwa schrieb, die Verhandlungen hätten »relative Fortschritte in einigen Bereichen« gebracht, der Text enthalte »einige Ideen zu einigen der verbleibenden Fragen«. Jetzt sei die Zeit für eine genaue Prüfung des Vorschlags, bevor der Iran seine »Stellungnahmen und Bemerkungen dem Koordinator [der Gespräche, den EU-Diplomaten Enrique Mora] und anderen Parteien« zukommen lassen werde. Nach »nicht weiter verhandelbar« hört sich das nicht gerade an.
Viertens ist alles andere als klar, ob der Iran Ja zu dem erneuerten Abkommen sagen wird. Erst am Mittwoch erklärte der Herausgeber der konservativen iranischen Tageszeitung Kayhan, der dem Obersten Geistlichen Führer des Landes nahestehende Hossein Shariatmadari, dass die Atomverhandlungen zu keinem Resultat geführt hätten, von dem der Iran profitieren würde:
»Im Gegensatz zu den Behauptungen offizieller Stellen und der Medien im Westen und dem Echo der iranischen Reformer wurden bei den Verhandlungen keine Ergebnisse erzielt, die den wirtschaftlichen Interessen des Irans dienen.«
Die USA hätten die »rechtmäßigen und logischen Forderungen« des Irans nicht akzeptiert. In zentralen Punkten habe es keinerlei Fortschritte gegeben. Ob Ali Khamenei, der Oberste Geistliche Führer des Irans, ein Abkommen befürwortet, ist zweifelhaft.
Und fünftens fordert der Iran neuerdings als Bedingung für eine Erneuerung des Atomabkommens, dass die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) ihre Untersuchung noch offener Fragen fallen lässt. Dabei geht es um vier Orte, bei denen IAEO-Inspektoren Spuren menschengemachten Urans und anderen nuklearen Materials gefunden hat, das es dort nie hätte geben dürfen.
Das nukleare Lagerhaus und die IAEO
Beispielhaft ist die Geschichte eines der Orte, eines Lagerhauses in Turquzabad, einem Ort nahe Teheran, in dem das iranische Regime in mehreren Frachtcontainern Geräte und Material aus seinem Atomprogramm gelagert hatte. Nachdem Israels damaliger Premier Benjamin Netanjahu 2018 die Existenz dieses bis dahin unbekannten Lagerhauses öffentlich gemacht hatte, wurden umfangreiche Aufräum- und Säuberungsarbeiten auf dem Gelände unternommen, offenbar, um Spuren auf dem nie der IAEO gemeldeten Gelände zu beseitigen.
Geholfen hat der Vertuschungsversuch nichts: Als IAEO-Inspektoren 2019 Zugang bekamen, fanden sie Spuren von angereichertem Uran, das aus einer bislang nicht deklarierten Atomanlage stammt und nie auf dem Gelände hätte sein dürfen.
Seit den Funden in Turquzabad und an zwei anderen Orten versucht die IAEO, vom Iran nachvollziehbare und glaubwürdige Erklärungen für die Anwesenheit von Uran an den nicht-deklarierten Orten zu bekommen, bisher allerdings ohne Erfolg. Überraschend ist das nicht: Das Regime kann die Fragen der IAEO nicht beantworten, weil es dann zugeben müsste, sie jahrelang nach Strich und Faden hintergangen und belogen zu haben.
Wie die IAEO erklärt, ist der Iran bis heute also jede ernsthafte Erklärung schuldig geblieben. In einem Bericht im Mai zog sie das Resümee:
»Der Iran hat keine technisch glaubwürdigen Erklärungen in Bezug auf die Funde der Agentur an diesen Standorten vorgelegt. Der Iran hat die Agentur auch nicht über den aktuellen Standort des Kernmaterials und/oder der mit Kernmaterial kontaminierten Ausrüstung informiert, die 2018 aus [dem Lagerhaus in] Turquzabad verbracht wurden.«
Daher stellte die IAEO fest:
»Solange der Iran keine technisch glaubwürdigen Erklärungen für das Vorhandensein von Uranpartikeln anthropogenen Ursprungs in Turquzabad, Varamin und Marivan liefert und die Organisation nicht über den/die derzeitigen Standort(e) des Kernmaterials und/oder der kontaminierten Ausrüstung unterrichtet, kann die Agentur die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärungen Irans im Rahmen des Comprehensive Safeguards Agreements nicht bestätigen.«
Der Gouverneursrat der IAEO verabschiedete daher im Juni eine Resolution, in der der Iran für seinen Mangel an Transparenz und seine unzureichende Zusammenarbeit mit der Organisation kritisiert wurde. Das iranische Regime reagierte auf die deutliche Kritik, indem es zahlreiche Überwachungskameras der IAEO in seinen Nuklearanlagen abschaltete.
Keine Lösung
Die Fragen rund um die nicht-deklarierten Anlagen und die dort gefundenen Uranspuren haben zwar nicht direkt etwas mit dem Atomvertrag zu tun, aber sie weisen darauf hin, dass der Iran bis heute illegale nukleare Tätigkeiten betreibt und unkooperativ bleibt. So die IAEO nicht jegliche Selbstachtung aufgibt, wird sie der iranischen Forderung nach einer Einstellung der Untersuchung seiner illegalen Aktivitäten nicht nachkommen. »Ein ›Schwamm drüber‹ wird es nicht geben«, schrieb Gudrun Harrer. Vielleicht, so vermutet sie, wird irgendein Weg gefunden, die Sache gesichtswahrend in die Länge zu ziehen und so diesen möglichen Stolperstein für einen erneuerten Atomvertrag zumindest einstweilen zur Seite zu schieben.
Was auch immer in den kommenden Wochen in Sachen Atomabkommen geschehen wird: Dass alle beteiligten Parteien den aktuellen Vorschlag einfach abnicken werden, scheint das unwahrscheinlichste aller möglichen Szenarien zu sein. Sicher ist aber, dass das Problem des iranischen Strebens nach der Bombe auch damit nicht gelöst wäre.