Konservative politische Strukturen und Moralvorstellungen verhindern, dass Gesetzesnovellen erlassen werden, die die Gleichberechtigung der Frauen garantieren.
Mai Abu Hasaneen, Al-Monitor
Gemäß den Zahlen des Palestinian Center for Policy Research and Strategic Studies verstarben im Westjordanland und im Gazastreifen zwischen 2012 und 2019 jedes Jahr durchschnittlich 22 Frauen aufgrund von häuslicher Gewalt.
Laut dem Women’s Center for Legal Aid and Counseling stieg die Zahl auf 38 im Jahr 2020, als wegen der Corona-Pandemie Lockdowns verhängt wurden, die die Menschen zwangen zu hause zu bleiben. Sechs Frauen sind in diesem Jahr bislang durch häusliche Gewalt gestorben, eine davon im Westjordanland und fünf im Gazastreifen, so das Palestinian Center for Human Rights.
Die veröffentlichten Daten zeigen, dass die Opfer unterschiedlichen sozialen Status innehatten und auf viele verschiedene Arten getötet wurden. Der gemeinsame Nenner ist, dass sie alle physischem und psychischem Missbrauch ausgesetzt waren.
Palästinensische Frauen leben unter veralteten Gesetzen, die aus der osmanischen, britischen, jordanischen und ägyptischen Ära stammen und die im Jahr 2021 nicht mehr angemessen sind. Die Palästinensischen Gebiete sind im letzten Jahrzehnt mehreren internationalen Frauenrechtsabkommen beigetreten, darunter 2014 das UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.
Im Westjordanland ist das jordanische Personenstandsgesetz in Kraft, im Gazastreifen gilt das Familienschutzgesetz. Kritiker sagen, dass die Bestimmungen dieser Gesetze Frauen diskriminieren, trotz einiger Änderungen, die die Gleichberechtigung fördern. Und die Justiz im Gazastreifen verhängt weiterhin milde Strafen gegen die Täter.
Nadia Abu Nahla, Leiterin der Zweigstelle des Women’s Affairs Technical Committee in Gaza, sprach mit Al-Monitor über die Hauptgründe für den Anstieg der Mordfälle an Frauen in den palästinensischen Gebieten. Einder dieser Hauptgründe für die vielfältigen Formen der Gewalt gegen Frauen sei die sexistische Mentalität zu Hause, in der Öffentlichkeit und im politischen System.
Abu Nahla fügte hinzu, dass es sich bei den Tötungen von Frauen in den letzten Jahren weniger um „Ehrenverbrechen“ handele; vielmehr stünden sie im Zusammenhang mit Erbstreitigkeiten, individuellen Freiheiten von Frauen oder Familienstreitigkeiten aufgrund harter Lebensbedingungen.
Das palästinensische politische System, das von rückständigen Kräften wie Stämmen, religiösen Gruppen und radikalen Gruppierungen dominiert wird, habe es laut Abu Nahla verabsäumt, entsprechende Gesetze zu verabschieden und Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu ergreifen.
Sie erklärte: „Wir, als feministische Bewegung, drängen seit Jahren auf ein Gesetz zum Schutz der Familien vor Gewalt. Wir haben einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf vorbereitet, der [2012] dem Ministerrat vorgelegt wurde.“
Der Ministerrat habe jedoch „trotz unserer Vorbehalte Änderungen hinzugefügt, die den Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt nicht garantierten, dem Entwurf dann aber 2018 zugestimmt. Der palästinensische Präsident hat das Gesetz aufgrund des Widerstands von Stammesführern dann letztendlich jedoch nicht gebilligt.”
(Aus dem Artikel „Violence against women rises in Gaza”, der bei Al-Monitor erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)