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Statistik widerlegt Gewaltzunahme während des Ramadan

Terrorplakat beim Ramadan-Gebet auf dem Tempelberg in Jerusalem
Terrorplakat beim Ramadan-Gebetauf dem Tempelberg in Jerusalem (© Imago Images / ZUMA Wire)

Israelische Beamte und Medien warnen ständig vor den Gefahren des islamischen heiligen Monats Ramadan, die Zahlen sprechen aber dagegen. 

Hillel Frisch

Es ist für Beamte, Analysten und Korrespondenten zur Gewohnheit geworden, vor den Gefahren des bevorstehenden Ramadans und der damit verbundenen palästinensischen Gewalt zu warnen. Dies gilt insbesondere nach der Hamas-Kampagne gegen Israel im Mai 2021 und noch mehr nach der Wahl der »rechtslastigsten« Regierung, die Israel je hatte. Doch sind diese düsteren Vorahnungen gerechtfertigt? Die Daten deuten stark darauf hin, dass die Gefahr stark übertrieben, wenn nicht sogar völlig falsch ist.

Nehmen wir das Jahr 2015, in dem es wohl die meisten palästinensischen Gewalttaten der letzten zehn Jahre gab. Insbesondere der Zeitraum von Oktober bis Dezember – drei Monate nach dem Ramadan –, in dem die bedeutendste und extremste Welle der Gewalt in Jerusalem, Judäa und Samaria und anderswo stattfand.

Die israelische Sicherheitsbehörde registrierte allein im Oktober 620 Anschläge, bei denen elf Israelis ums Leben kamen. Im Juli und August, den Monaten, die sich mit dem Ramadan überschnitten, gab es dagegen 123 bzw. 107 Anschläge, bei denen zwei Israelis getötet wurden. In den Monaten, die sich mit dem Ramadan überschneiden, war die Gewalt ebenfalls geringer als in den Monaten November und Dezember, in denen zwölf Israelis ermordet wurden.

Das Gleiche lässt sich, wenn auch weniger auffällig, über 2016 sagen, einem weiteren Spitzenjahr, der Gewalt. Die Gewaltwelle, die 2015 begann, setzte sich in den ersten vier Monaten des Jahres 2016 fort – und der Ramadan fand erst zwischen 7. Juni und 5. Juli statt.

Die Kontraste zwischen Januar, dem Höhepunkt der Gewalt, und Juni (der sich größtenteils mit dem Ramadan überschnitt) sind weit weniger stark als im Jahr 2015. Im Januar wurden bei 169 Angriffen fünf Israelis getötet, davon vier bei einem einzigen; im Juni fünf bei 103 Angriffen.

Keine statistischen Beweise

Aber vielleicht ist die gewohnheitsmäßige Gewalt im Ramadan ein neueres Phänomen? Eine Analyse der Daten für die letzten drei Jahre legt das Gegenteil nahe. Der Ramadan des Jahres 2020 dauerte vom 23. April bis zum 22. Mai. Im April gab es 71 Attentate und keine Todesopfer, im Mai 80 Anschläge mit einem Toten. August und Dezember waren deutlich gewalttätiger: 120 Anschläge und ein Todesopfer bzw. 98 und ebenfalls ein Toter.

Die Daten für das Jahr 2021 sind besonders aussagekräftig. Während des Ramadans startete die Hamas eine massive Raketenkampagne gegen Israel, die mit Angriffen auf Jerusalem begann, nachdem ein Ultimatum an Israel, alle Polizei- und Militärangehörigen aus der Moschee al-Haram al-Sharif und dem Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah abzuziehen, unbeantwortet geblieben war. Und obwohl sich die israelische Politik davon nicht beirren ließ, gelang es der Hamas, die israelische Öffentlichkeit von einem Zusammenhang zwischen Ramadan und palästinensischer Gewalt zu überzeugen.

Während die israelischen Behörden und die neuen Medien die Behauptungen der Hamas über diesen Zusammenhang bestätigten, war dies bei den Palästinensern in Jerusalem und Judäa und Samaria merkwürdigerweise nicht der Fall. Die Hamas-Kampagne wurde am 10. Mai gestartet, einen Tag vor Ende des Ramadans. April und Mai waren jedoch im Vergleich zu November und Dezember, die weder mit einem islamischen noch mit einem jüdischen Feiertag zusammenfielen, nicht die gewalttätigsten Monate.

Im Mai 2021 ermordeten binnen einer Woche arabische Randalierer drei Juden, verletzten mehr als 600 und verübten Brandanschläge auf zehn Synagogen und 112 Wohnhäuser in Städten mit gemischter Bevölkerung. Doch all dies geschah nach dem Ramadan, und die arabische Gewalt in Israel ist kaum so beständig wie die palästinensische in Jerusalem und Judäa und Samaria. Tatsächlich wurde sie nur im ersten Monat des massiven Angriffs der Palästinensischen Autonomiebehörde im Oktober 2001, also zwanzig Jahre früher, übertroffen.

Nur ein Beispiel

Allein im Jahr 2022 gibt es Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Ramadan und dem Höhepunkt der palästinensischen Gewalt, aber selbst hier nur wenig ausgeprägt. Der Ramadan begann am 12. April, aber der gewalttätigste Monat, zumindest bezüglich der Todesopfer, war der März, in dem elf Israelis bei fünf tödlichen Anschlägen ermordet wurden. Im April gab es zwar mehr Anschläge (268 gegenüber 190), aber sie waren weniger tödlich – möglicherweise wegen der verstärkten Mobilisierung der israelischen Sicherheitskräfte – und führten zu nur vier Opfern. Dezember und November, die mit keinem Feiertag zusammenfielen, waren ebenfalls sehr gewalttätig: 401 Anschläge mit drei Toten bzw. 254 mit zwei Verstorbenen.

Mindestens ein Jahrhundert lang haben Sicherheitsbehörden und Wissenschaftler versucht, die Gesetze der Massengewalt zu ergründen. Die Hypothese, der Ramadan sei im palästinensischen Kontext ein Monat der Gewalt, ist ein solcher Versuch. Doch wie auch bei den anderen Erklärungen erweist sich das tatsächliche Verhalten der Terroristen als weitaus komplexer und verwirrt sowohl sie selbst als auch die sie bekämpfenden Sicherheitsbeamten.

Ich bin versucht zu sagen, dass israelische Beamte, die fälschlicherweise einen solchen Zusammenhang behaupten und vor dessen Folgen warnen, sich einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung schuldig machen. Deshalb sollten sie handeln und nicht reden. Aber selbst diese Behauptung ist nicht unbedingt wahr.

Hillel Frisch ist Professor für Politikwissenschaft und Nahoststudien an der Bar-Ilan-Universität und Experte für die arabische Welt am Jerusalem Institute for Strategy and Security. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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