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Statistiken im Iran: Die Kunst, Erwartungen niedrig zu halten

Das Regime versucht den Iranern mit absurden Statistiken einzureden, wie gut es ihnen nicht gehe
Das Regime versucht den Iranern mit absurden Statistiken einzureden, wie gut es ihnen nicht gehe (© Imago Images / Depositphotos)

Anstatt die Wirtschaftslage und die Lebensbedingungen der verarmenden Bevölkerung in den Griff zu bekommen, verweist das iranische Regime mit fragwürdigen Statistiken auf die angeblich so gute Situation im Land.

Im Iran, in dem der gesunde Menschenverstand einen längeren Urlaub genommen hat und Statistiken als Waffe eingesetzt werden, um das nationale Elend zu zementieren, hat sich das Vergleichen zu einer fortgeschrittenen Wissenschaft entwickelt. So wird der iranische Stromverbrauch im Sommer mittlerweile mit jenem von Finnland verglichen, in dem sich der Sommer temperaturmäßig wie der Winter im Iran anfühlt und die Menschen sich mit der natürlichen Nordbrise statt mit Klimaanlagen abkühlen. 

Im Winter verschiebt sich der Maßstab plötzlich, wenn der iranische Gasverbrauch mit dem von Indien verglichen wird, einem Land, in dem selbst im kältesten Monat das Schlafen im Freien nur eine leichte Abkühlung mit sich bringt. Aber solche Verweise auf die Realität spielen hier keine Rolle, geht es dem Regime mit diesen Vergleichen doch allein darum, die Iraner glauben zu machen, dass sie zu viel Energie verbrauchen.

Und immer weiter so

Mord und Verbrechen auf den Straßen? Kein Problem: Stellt man die iranische Grafik neben die Statistiken aus Kolumbien und Brasilien, sollen sich die Iraner angesichts der im Vergleich niedrigen Mordraten glücklich schätzen.

Steuern? Hier verweist das Regime auf Deutschland, wo man mit seinen Abgaben Gesundheitsversorgung, Straßen, kostenlose Bildung und einen europäischen Lebensstandard genießen kann. Die Iraner zahlen zwar auch Steuern, bekommen aber nichts dafür und sollen laut den Vorgaben des Regimes auch noch stolz auf ihre geringere Abgabenlast als jene in Deutschland sein.

Geht es um Löhne, erinnert sich Teheran plötzlich an Venezuela, wo die Inflation in ungehanhte Höhen schnellt und die Nullen auf den Banknoten zahlreicher sind als die Menge der Banknoten. Die Iraner, so legt das Regime nahe, sollen Gott dafür danken, dass ihre Währung drei Nullen weniger hat als jene Venezuelas.

Der Kraftstoff wiederum liefert den Lieblingsvergleich bei jeder Pressekonferenz: Der Maßstab hier ist der Preis im Persischen Golf, also genau dort, wo er produziert wird und die Menschen Tausende von Dollar im Monat verdienen. Also sollen die Iraner wieder einmal still sein und sich über billiges Benzin freuen, auch wenn ihre Taschen ansonsten leer sind.

Und wie sieht es auf dem Wohnungsmarkt aus? Hier kommt das Meisterwerk des absurden Vergleichs zum Tragen, denn wenn die Immobilienpreise in Teheran in die Höhe schnellen, werden plötzlich New York und London ins Spiel gebracht: Städte, in denen die Menschen Häuser mit dreißigjährigen Hypotheken kaufen, dafür aber öffentliche Verkehrsmittel, Sicherheit und hochwertige städtische Dienstleistungen erhalten. In Teheran reicht eine Hypothek, so sie gewährt wird, kaum für die Anzahlung für einen Keller am Stadtrand.

Auch der Bildungsbereich ist vor schrägen Vergleichen durch das Mullah-Regime nicht sicher: Wird die schlechte Qualität der öffentlichen Schulen kritisiert, werden sofort Afghanistan und der Südsudan angeführt: »Seht doch, dort sitzen die Kinder auf dem Boden. Wenigstens habt ihr Bänke.« 

Und wie sieht es in der Gesundheitsversorgung aus? Wenn man es in ein Krankenhaus schafft und darin sogar überlebt, gilt dies als Wunder – und die Iraner sollen dankbar sein, dass es ihnen nicht wie der Bevölkerung im Jemen oder in Somalia geht.

Spirituelle Tipps

Um die Menschen noch weiter davon zu überzeugen, ihre Erwartungen herunterzuschrauben, greift das Regime auch zu spirituellen Ratschlägen. So fordert ein Geistlicher die Bevölkerung mit einem freundlichen Lächeln auf, statt drei nur zwei Mahlzeiten pro Tag zu sich zu nehmen – als wäre Hunger eine Art religiöse oder moralische Vorschrift. Ein anderer Geistlicher erklärte dezidiert, 

der Konsum von Fleisch sei nicht notwendig; Brot und Kräuter würden ausreichen. So wird suggeriert, dass Armut kein Problem, sondern eine Tugend sei: Je weniger man isst, desto näher käme man dem Paradies.

Das ist die besondere Kunst der Führung der Islamischen Republik: Wann immer es nötig ist, werden globale Daten durchforstet, um diejenige Zahl zu finden, die im Ranking noch schlechter ist als die entsprechende iranische. Diese Zahl wird dann den Iranern unter dem  Motto »Genug – schaut, um wie viel schlechter es im Rest der Welt ist« vorgesetzt.

Doch die Iraner haben mittlerweile gelernt, dass mit jedem weiteren absurden Vergleich nur neuer Druck auf sie ausgeübt wird. Denn in einem Land, in dem statt der Verbesserung des Lebensstandards die Erwartungen gesenkt werden, sind Zahlen und Statistiken lediglich Instrumente der permanenten Unterdrückung. Und sie, die Opfer dieses endlosen Spiels mit irrelevanten Zahlen, müssen jeden Tag mit einem neuen Verdacht aufwachen: Vielleicht vergleichen uns die Verantwortlichen heute mit der Steinzeit, damit wir endlich mit unserem Elend im 21. Jahrhundert zufrieden sind.

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