„Es sei für Deutschland ein Armutszeugnis, dass ‚Juden nicht offen zu ihrer Identität stehen können‘, sagt [Patrick Siegele,] der Leiter des Anne-Frank-Zentrums in Berlin . Ein Viertel der Juden zeigten antisemitische Vorfälle nicht einmal an, ergab eine Befragung. Siegele hat eine Expertenkommission des Bundestages geleitet. Besonders besorgniserregend in ihrem Antisemitismus-Bericht: 40 Prozent der Bevölkerung neigen einem Israel-bezogenen Antisemitismus zu. Rund ein Viertel der Befragten halten es sogar für richtig, Israelis mit Nazis gleichzusetzen. Diese Form des Antisemitismus werde ‚nicht geächtet‘, erklärt Siegele die hohen Werte. Die Zahlen aus dem Bericht decken sich mit den Forschungsergebnissen der Medienforscherin Monika Schwarz-Friesel von der Technischen Universität Berlin, die auch in dem Arte-Film zu Wort kommt. Sie betont, dass es wissenschaftlich kein Problem sei, selbst scharfe Kritik an Israel von antisemitischen Inhalten abzugrenzen. ‚Meine Forschung der letzten 15 Jahre zeigt anhand großer Datenanalysen im World Wide Web, dass der klassische Antisemitismus keineswegs rückläufig ist, sondern der Israel-bezogene Antisemitismus durchsetzt ist von Inhalten des klassischen Antisemitismus.‘
In der europäischen Medienlandschaft dominiere eine stark antiisraelische Erzählweise, an die sich bereits alle gewöhnt hätten. ‚Wir haben ein Potpourri von antisemitischen Strömungen, von denen die rechtsradikale nicht unbedingt die gefährlichste ist‘, sagt die Wissenschafterin. Vielmehr seien das Gemenge aus Israel-Hass und judenfeindlichen Stereotypen in der Mitte der Gesellschaft ‚weitaus gefährlicher als herumgrölende Rechtsradikale.‘ Auffällig ist laut Schwarz-Friesel die Angleichung der Sprache. ‚Unsere empirische Forschung zeigt, dass nur noch oberflächliche Unterschiede existieren, die Semantik ist identisch‘, sagt sie. ‚Linke bevorzugen »Zionisten« und »zionistische Lobby«, Rechtsradikale sagen offen »Juden« und »Judentum«, zeigen aber auch Hass auf Israel. Und in der Mitte spricht man vom »Apartheidregime Israel« oder Ähnlichem.‘ Dieser Trend gelte für ganz Europa, nur sehen wolle ihn niemand. Beunruhigend sei das aber besonders für Deutschland: ‚Viele möchten sich nicht der bitteren Erkenntnis stellen, dass der Holocaust nicht die erhoffte Zäsur gebracht hat.‘“ (Silke Merztins: „Zensierter Arte-Film zeigt: Der Antisemitismus lebt“)