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Sinwars Labyrinth-Strategie: Die unterirdischen Waffenlager der Hamas

Israel präsentiert in Sinwars Hamas-Tunneln gefundene Raketen
Israel präsentiert in Sinwars Hamas-Tunneln gefundene Raketen (© Imago Images / News Licensing)

Yahya Sinwars Plan für den 7. Oktober 2023 und die Wiederauferstehung der Hamas nach dem darauffolgenden Krieg wurden Jahre im Voraus geplant.

In den Jahren vor dem Hamas-Terrorangriff drängte Hamas-Führer Yahya Sinwar die Terrorgruppe, eine neue Strategie der Eigenständigkeit zu verfolgen, wie anonyme Hamas-Funktionäre der Washington Post mitteilten. Die Vorbereitung und der Bau des Tunnel-Labyrinths im Gazastreifen waren Teil des Plans, Israel am 7. Oktober 2023 anzugreifen – ein Angriff, den Sinwar einigen Teilnehmern eines Treffens sechs Monate im Voraus angekündigt hatte,wie es in dem vergangenen Woche erschienenen Post-Artikel hieß. »Es wird eine Überraschung geben«, sagte Sinwar damals. 

Berichten zufolge hatte Sinwar sowohl in öffentlichen Reden als auch im Rahmen privater Gespräche mit dem bevorstehenden Kampf und den umfangreichen Arbeiten der Terrorgruppe geprahlt. »Wir werden zu euch kommen, so Gott will, in einer tosenden Flut«, drohte er etwa am 14. Dezember 2022 bei einer Kundgebung für seine Anhänger in Gaza. »Wir werden mit endlosen Raketen zu euch kommen. Wir werden in einer grenzenlosen Flut von Soldaten zu euch kommen. Wir werden mit Millionen von Menschen zu euch kommen, wie die wiederkehrenden Gezeiten.«

In Vorbereitung auf die antizipierte Kriegsphase nach den Anschlägen vom 7. Oktober investierte die Hamas-Führung Zeit und Geld, um ihr eigenes Waffenarsenal errichten zu können. Diese Vorbereitungen ermöglichten es den Anführern der Terrorgruppe, einem einjährigen Kampf mit dem jüdischen Staat standzuhalten. »Es ist uns gelungen, die Produktionsstätten unterirdisch zu verlegen«, sagte das Hamas-Politbüro-Mitglied Ghazi Hamad, »weil wir wussten, dass eines Tages alle anderen Kanäle geschlossen werden würden«.

Neben der Herstellung und Lagerung von Waffen dienten die unterirdischen Tunnel als Kommunikationsnetzwerk, Versorgungsdepots, Autofahrsysteme, Logistikpipelines, Luftschutzbunker und Feldlazarette. Auch als Fallen für israelischen Soldaten und Gefängnisse für einige der am 7. Oktober entführten Geiseln wurde das Labyrinth benutzt.

Tatsächlich entdeckten Ermittler der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) nur wenige im Iran produzierte Waffen. Stattdessen stießen sie auf kleinere Werkstätten, in denen aus geplünderten und ausgegrabenen Rohren sowie aus landwirtschaftlichen Chemikalien Waffen hergestellt wurden. »In Gaza arbeiteten wir Tag und Nacht, vierundzwanzig Stunden lang«, so Hamad. »Wir haben uns sehr gut vorbereitet, nicht nur für ein oder zwei Jahre.«

Sinwar »stellte sicher, dass das Geld und das Material für viele Jahre vorhanden waren«, sagte ein unter dem Nom de Guerre Abu Hamza auftretender Hamas-Kommandeur in Dschenin im Westjordanland, »die Hamas hat wirklich gut für diese Sache gearbeitet. In den Tunneln versteckte sie Waffen und stellte ihre eigenen her«.

Das Arsenal der Hamas

In früheren Kriegen schmuggelte die Hamas Waffen durch Tunnel aus Ägypten, wobei sie in vielen Fällen die zuvor von der israelischen Armee geschlossenen Tunnel mit Bohrern wieder öffnete. Zusehends aber hätten auch die überirdischen Grenzübergänge, die sowohl von Ägypten als auch von Israel bewacht wurden, eine zentrale Rolle im Waffenschmuggel gespielt. 

Während die Hamas im Rahmen ihrer Politik der Selbstständigkeit zusehends eigene Waffen herstellte, geschah dies dennoch durch die Unterstützung externer Parteien. Anonyme Funktionäre berichteten, die Gruppe habe mehrere zehn Millionen Dollar angehäuft, von denen nur ein Teil aus dem Iran stamme. Die Hamas-Mitglieder gaben dabei unter der Bedingung der Anonymität bereitwillig zu, dass die Hamas auch Hilfsgelder, Spenden, Steuereinnahmen und Einlagen von Aktionären, die von Banken im Gazastreifen gestohlen wurden, veruntreut habe.

Neben finanziellen Zuwendungen unterstützte Teheran die Hamas außerdem durch Ausbildungsaufenthalte ihrer Kämpfer im Iran oder Libanon, wobei der Iran Berichten zufolge einen Operationsraum eingerichtet hatte, um militärische Strategien und technische Informationen auszutauschen.

Zusätzlich zu den externen Geldern und der iranischen Ausbildung wurden einige Waffenkomponenten von außerhalb geliefert, wie der bereits zitierte Hamad enthüllte. Werkzeugmaschinen zur Produktion und für Sprengstoffe verwendete landwirtschaftliche Chemikalien seien entweder für den zivilen Gebrauch gekennzeichnet oder in Lebensmittellieferungen oder anderen Waren des täglichen Bedarfs versteckt gewesen, prahlte er gegenüber der Washington Post. »Wir befinden uns in einer Situation, die uns dazu zwingt, alles zu tun und alles zu sammeln. Wir stehen einem sehr gefährlichen Land gegenüber, das über große Technologie und viele Waffen verfügt. Es ist nicht einfach, Israel zu bekämpfen. Wir kannten das Kräfteverhältnis sehr gut.«

IDF-Offizielle schätzten, dass mittlerweile achtzig Prozent der Hamas-Waffen in Gaza selbst hergestellt werden. Die Hamas setzt stark auf Kurzstreckenraketen wie die auf der iranischen Fajr-5 basierenden M-75, die Berichten zufolge eine Reichweite bis Tel Aviv hat. Häufiger noch verwendet die Terrorgruppe die Qassam, die sie vor über zwanzig Jahren entwickelt hat, aus Stahlwasserrohren besteht und mit Sprengstoff aus Zucker und Kaliumnitratdünger gefüllt ist. Während nur wenige der Qassam tatsächlich Ziele in Israel treffen, beträgt ihre Herstellung nur ein paar hundert Dollar, während Israels Iron Dome 50.000 Dollar pro Abschuss kostet, um sie abzufangen.

Hamas plant Comeback

In dem bislang einjährigen Krieg mit Israel wurden mindestens 15.000 Hamas-Terroristen eliminiert, wie regionale Geheimdienstmitarbeiter mitteilten. Viele der schätzungsweise 5.700 Tunnel der Gruppe wurden zerstört. Trotz dieses aktuellen Zustands der Schwäche gibt es bereits Pläne zum Wiederaufbau der Terrorgruppe, während das Kriegsziel von Premierminister Benjamin Netanjahu deren vollständige Zerschlagung ist.

Hamad sagte, Sinwar habe erhebliche Planungsarbeit geleistet, um sicherzustellen, dass die Terrorgruppe nach Israels Reaktion auf den 7. Oktober, von der Sinwar vorhergesagt habe, dass sie erheblich sein werde, wiederbelebt werden kann. Es wird angenommen, dass Gelder – insgesamt Hunderte Millionen Dollar in bar und Kryptowährungen ­– für dieses Comeback der Hamas abgezweigt wurden. Hamad behauptete weiter, dass die Terrorgruppe trotz der Bemühungen Israels immer noch über Kanäle verfüge, über die Gelder abgeführt werden können. 

Der Krieg hat den palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen erhebliche Verluste beschert, die arabischen Analysten zufolge zu den Rekrutierungsbemühungen der Hamas beitragen könnten. »Es gibt keinen Mangel an jungen Freiwilligen«, sagte ein hochrangiger Beamter des arabischen Geheimdienstes. »Vielleicht sind sie nicht so gut ausgebildet, aber sie werden der Hamas helfen, ihre Verluste auszugleichen. Das sind Menschen, die Familien verloren haben, und sie haben nur ein Motiv: Rache.« Der militärische Flügel der Hamas, die Al-Qassam-Brigaden, haben dies erkannt und bereits begonnen, über soziale Medien für den zukünftigen Guerillakrieg zu werben.

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