Nach einigen internen Diskussion wird mit Yahwa Sinwar der Organisator des Massakers vom 7. Oktober neuer Hamas-Chef.
Kurz nach dem Tod von Ismail Haniyeh schien in der Frage, wer ihm an der Spitze des Hamas-Politbüros folgen würde, alles recht schnell zu gehen: Khaled Mashal, der den Posten schon von 1996 bis 2017 bekleidet hat, wurde in Medienberichten als der klare Favorit für die Nachfolge Haniyehs gehandelt.
Eine Woche später sah die Sache jedoch deutlich anders aus. Nicht nur wurde Mashal nicht als neuer Politbüro-Führer bestätigt, sondern innerhalb der Islamistengruppe gab es anscheinend größere Widerstände gegen eine Rückkehr Mashals an die Hamas-Spitze. Eine zentrale Figur dabei dürfte Yahya Sinwar gewesen sein, der Hamas-Führer, der seit dem maßgeblich von ihm geplanten und organisierten Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 vermutlich in Tunneln unter dem Gazastreifen haust, umgeben von israelischen Geiseln, die ihm als menschliche Schutzschilde das Leben retten sollen.
Zerwürfnis über Syrien
Sinwars Ablehnung Mashals dürfte mit dessen schlechtem Verhältnis zur Hisbollah und zum iranischen Regime zu erklären sein. Lange Jahre hatte sich die Hamas-Führung im Exil, darunter auch Mashal, in Syrien befunden. Doch mit dem Beginn des Krieges dort fiel die Hamas, die sich als sunnitische Islamistengruppe auf die Seite der sunnitischen Aufständischen schlug, bei ihren bisherigen Verbündeten – Diktator Bashar al-Assad, der Hisbollah und dem iranischen Regime – in Ungnade. So schlecht wurden die Beziehungen, dass Mashal und andere Hamas-Größen 2012 Damaskus verlassen mussten. Mashal ging nach Katar, andere Hamas-Führer in die Türkei.
Das Verhältnis der Hamas zum iranischen Regime und zur Hisbollah hat sich im Laufe der Jahre seitdem zwar wieder verbessert, doch das gilt nicht für Mashal. Das disqualifizierte ihn aus Sinwars Sicht offenbar als Politbüro-Chef in einer Zeit, in der die Hamas existenziell auf die Unterstützung aus Teheran angewiesen ist.
Namen über Namen
Eigentlich hatte in der Hamas-Führungsriege mit Saleh al-Arouri, einem weiteren Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober, ein designierter Nachfolger Haniyehs bereitgestanden – aber der war schon Anfang des Jahres bei einem mutmaßlich israelischen Drohnenangriff in Beirut getötet worden.
So machten ein paar andere Namen für die Nachfolge Haniyehs die Runde. Ein Hisbollah-naher Sender meldete am Wochenende, dass Abu Omar Hassan, der aktuelle Chef des Hamas-Schura-Rates, zumindest für eine Übergangszeit den vakanten Spitzenjob übernehmen soll, dementierte diese Meldung später am Tag aber wieder.
Yahya Sinwar soll sich angeblich für seinen Stellvertreter im Gazastreifen, Khalil al-Hayya, starkgemacht haben. Das ist der Mann, der vonseiten der Hamas tatsächlich die indirekten Gespräche mit Israel über einen Waffenstillstand und einen Geiseldeal führt – anders als derzeit ständig behauptet, wurden diese Verhandlungen nicht von Haniyeh geleitet.
Anderen Berichten zufolge sollte Muhammad Ismail das Hamas-Politbüro übernehmen. Er gilt als wichtige Figur im wirtschaftlichen Imperium der Organisation und soll u.a. für Finanztransaktionen mit dem iranischen Regime zuständig sein, ist aber in der Öffentlichkeit weit weniger bekannt als die anderen kursierenden Namen.
Kein Zeichen von Stärke
Per offizieller Erklärung wurde die Nachfolgediskussion am Dienstagabend für beendet erklärt: Der 50-köpfige Hamas-Schurarat soll Yahya Sinwar zum neuen Politbürochef der Hamas gewählt haben. Mit dem 7. Oktober und dem daruffolgenden Krieg war Sinwar schon de facto zum starken Mann der Terrorgruppe avanciert, jetzt übernimmt er auch formell die Führungsrolle.
Sinwars Ernennung ist eine signifikante Entwicklung: Seit fast 20 Jahren lag die oberste Führungsrolle mit Mashal und Haniyeh stets bei Hamas-Männer, die im Ausland gelebt haben, mit Sinwar verlagert sich das interne Machtzentrum wieder deutlich stärker in den Gazastreifen. Das allerdings in einer Zeit, in der die Terrorgruppe im Küstenstreifen nach einem dreiviertel Jahr Krieg schwer angeschlagen und personell einigermaßen deziminiert ist.
Die Wahl Sinwars zu einem Zeitpunkt, an dem der Hamas im Gazastreifen bis zum Hals steht, ist alles andere als ein Zeichen von Stärke. Sie kann auch bedeuten, dass andere Leute aus der Hamas-Führungsriege nicht gewillt waren, die Verantwortung für die existenzgefährende Situation zu übernehmen, in die Sinwar die Organisation gebracht hat.