„Für den Spott braucht bekanntermaßen nicht zu sorgen, wer den Schaden hat. Und tatsächlich luden die vielen Versäumnisse, Pannen und Fehler im Zusammenhang mit der Verfolgung, der Festnahme und dem Suizid von Jaber al-Bakr, der unter dem Verdacht stand, einen Sprengstoffanschlag zu planen, dazu ein, über die Behörden zu spotten. Also nahm sich unter anderem das Satireportal Der Postillon der Sache an und veröffentlichte einen meldungsartigen Text, in dem der Leiter jener Leipziger Haftanstalt, in der sich der 22jährige Syrer das Leben genommen hatte, mit der fingierten Äußerung zitiert wurde, ‚es habe keine Hinweise darauf gegeben, dass bei einem mutmaßlichen Selbstmordattentäter wie al-Bakr mit einem Selbstmord zu rechnen gewesen sei‘. Auch in den sozialen Netzwerken wurde dieser Punkt vielfach aufgegriffen – nicht zuletzt von twitternden Journalisten –, mal in ernster, mal in höhnischer Weise: Wie kann es sein, dass bei jemandem, der einen Selbstmordanschlag geplant hatte, die Suizidgefahr offenbar unterschätzt wurde?
Es spricht Bände, dass ausgerechnet ein erzreaktionärer Kommentator wie Jasper von Altenbockum in der FAZ auf etwas hinwies, das auch in weniger konservativen Kreisen längst hätte bekannt sein müssen: ‚Es ist zweierlei, ob ein Extremist möglichst viele Unschuldige mit in den Tod reißen will und dafür sein eigenes Leben wegwirft – oder ob er nur sich selbst tötet, weil er dabei gescheitert ist, ein »Märtyrer« zu werden.‘ Denn bei islamistischen Selbstmordanschlägen steht nachweislich nicht der Freitod im Mittelpunkt, vielmehr setzt der Attentäter seinen Körper gezielt als Waffe ein; die zweite ‚Intifada‘ der Palästinenser in Israel ist dafür geradezu ein Musterbeispiel. Es geht den Jihadisten um ein Selbstopfer zur Vernichtung von ‚Ungläubigen‘ und vermeintlichen Apostaten, sie handeln keineswegs aus Verzweiflung. Das schließt einen Suizid im Falle des Scheiterns zwar nicht aus, aber es besteht nicht der nahezu automatische Zusammenhang, wie er bei al-Bakr von vielen angenommen wurde.“
(Alex Feuerherdt: „Bezeichnende Ignoranz“)