Ein Erfolg im Gazastreifen könnte das Selbstvertrauen von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah erschüttern und die Folgen eines Kriegs mit Israel aufzeigen.
Meir Ben Shabbat
In dem komplexen Geflecht von Dilemmata, mit denen die israelischen Entscheidungsträger konfrontiert sind, muss der Krieg zur endgültigen Zerschlagung der Hamas ein Eckpfeiler der Politik und des Handelns bleiben. Nach dem 7. Oktober 2023 gibt es keinen Handlungsspielraum mehr, denn jedes andere Ergebnis als eine Zerstörung der Terrororganisation würde weitreichende Konsequenzen haben.
Eine entschlossene Anstrengung, alle israelischen Ziele – die Befreiung der Geiseln und die Ausschaltung der Hamas – im Gazastreifen zu erreichen, würde auch das Vertrauen des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah in die Wirksamkeit seiner Zermürbungsstrategie gegen Israel erschüttern und ihm und der libanesischen Führung die möglichen Folgen eines Kriegs mit Israel deutlich vor Augen führen.
Die Meinungsverschiedenheiten auf Israels oberster sicherheitspolitischer Ebene in Bezug auf den Gazastreifen spiegeln nicht nur unterschiedliche Auffassungen über das (tatsächliche, nicht erklärte) strategische Ziel des Kriegs wider, sondern auch Unstimmigkeiten bei der Bewertung der Wirksamkeit der Bemühungen und der Synchronisierung der Kämpfe im Gazastreifen mit anderen Bedrohungen und Herausforderungen. Unsere Feinde nutzen diese Meinungsverschiedenheiten als Propagandamaterial, indem sie diese als Ausdruck von Frustration und Verzweiflung und als Zeichen des Zusammenbruchs des israelischen Systems darstellen.
Betrachtet man das Auftreten und Verhalten der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und der Gesellschaft sowie die Errungenschaften des Kriegs, so ergibt sich eine gemischte Bilanz, die mehr zur positiven, optimistischen Seite neigt als zur gegenteiligen, negativen Ansicht. Dies gilt nicht nur für die militärischen Erfolge, sondern auch für die Auswirkungen des Kriegs auf die öffentliche Meinung im Gazastreifen, wie die Ergebnisse einer aktuellen vierteljährlichen Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research unter der Leitung von Khalil Shikaki zeigen.
Die Umfrage ergab einen Rückgang des Prozentsatzes der Bewohner des Gazastreifens, die den Angriff der Hamas am 7. Oktober unterstützen, einen Rückgang der Zufriedenheit mit der Hamas und einen Rückgang des Prozentsatzes jener, die glauben, die Hamas werde den Krieg gewinnen. Obwohl die Daten noch weit davon entfernt sind, eine vollständige Veränderung anzuzeigen (und im Westjordanland sogar einen Trend zur Stärkung der Hamas widerspiegeln), sollten sie nicht ignoriert werden.
Erwartungslücken verkleinern
Die unterschiedlichen Ansätze innerhalb des israelischen Systems sind nicht immer miteinander vereinbar, aber es ist möglich, die Erwartungslücken zwischen der politischen Ebene und dem Sicherheitssystem sowie zwischen diesen beiden und der Öffentlichkeit zu verringern.
Die erste Kluft betrifft die angestrebten Absichten des Kriegs. Das von den Politikern definierte Ziel ist die Zerstörung der militärischen und staatlichen Kapazitäten der Hamas, aber es besteht immer noch Bedarf an der Definition von Maßstäben, anhand derer das Erreichen dieses Ziels bewertet werden kann. Sicherheitsbeamte haben oft den Begriff »Zerschlagung« verwendet und damit gemeint, die Fähigkeit der Hamas-Brigaden und -Bataillone, als organisierte Verbände zu operieren, zu zerstören. In der Tat hat die IDF die meisten von ihnen aufgelöst.
In einem Krieg gegen eine reguläre staatliche Armee reicht es aus, das Kampfsystem zusammenbrechen zu lassen, es aufzulösen und seine Kräfte in einem gewissen Umfang zu vernichten, um den Kampf so aussichtslos zu machen, dass es zu Abschreckung und Kapitulation führt. Dies geschah in Israels Kriegen gegen arabische Armeen bis zum Jom-Kippur-Krieg 1973.
Im vorliegenden Fall reicht es nicht aus, gegen eine hybride Entität – eine Armee, die es versteht, als Guerilla und Terrorzelle zu operieren – zu kämpfen, um sie zu besiegen. Die Zerschlagung des gesamten Systems ist notwendig, um den zweiten entscheidenden Faktor zu erreichen: die Beseitigung des Feindes und/oder seine Entwurzelung aus dem Gebiet. Dies kann die Hamas-Rückkehr an Orte im Gazastreifen erklären, an denen die IDF bereits operiert haben, und die lange Dauer der Operation.
Eine weitere Erwartungslücke besteht in Bezug auf die Zerstörung der staatlichen Kapazitäten. Während ein Ansatz vorschlägt, die Kontrolle der Hamas könne dadurch beseitigt werden, dass eine andere Entität als die IDF die Verwaltung der zivilen Angelegenheiten im Gazastreifen übernimmt, vertritt die andere Seite die Auffassung, keine andere Einheit als die IDF könne unter den gegenwärtigen Bedingungen erfolgreich sein und jedes Machtzentrum der Hamas-Regierung zerschlagen werden muss, auch wenn es vorübergehend keine Alternative für die Regierungsgeschäfte gibt. In beiden Fällen ist kein Plan bekannt, wie das Ziel erreicht werden kann, das die Abschaffung der Kontrolle der Hamas über die humanitäre Hilfe beinhalten muss, die ihr eine Atempause und Machtpositionen verschafft.
Zwänge, denen Israel ausgesetzt ist
Eine weitere Erwartungslücke hängt mit dem Tempo und der Intensität der Kämpfe zusammen. Diese werden von den politischen, operativen und rechtlichen Zwängen beeinflusst, denen Israel unterliegt. Der derzeitige Ansatz verringert jedoch die Effizienz, schränkt die Druckpunkte auf den Feind ein, ermöglicht es seinen Kräften, in Gebiete außerhalb der Kampfzone zu fliehen und sich dort neu zu organisieren. Er verlängert den Krieg und verstärkt das Gefühl der Stagnation. Eine Strategie der Anhäufung von taktischen Erfolgen hat einen hohen Preis, der von der Öffentlichkeit nur verlangt werden kann, wenn es keine andere Alternative gibt.
Die politische und sicherheitspolitische Führung täte gut daran, diese Fragen in offenen Diskussionsräumen zu klären. Trotz seiner Nachteile kann solch ein Konflikt eine Gelegenheit sein, das Vertrauen der Israelis nicht nur in die Rechtmäßigkeit des Kriegs, sondern auch in die Art und Weise, wie er geführt wird, zu stärken.
Unabhängig davon scheint die Bedeutung der Beseitigung der Hamas-Führung und der erwartete Nutzen für alle von Israel definierten Ziele unbestritten zu sein. Während die Schwierigkeit, gegen die Hamas-Befehlshaber im Gazastreifen vorzugehen, einsichtig ist, ist sie in Bezug auf die Führer der Organisation im Ausland, die in den Medien auftreten und sich so verhalten, als sei ihre Immunität garantiert, nicht nachvollziehbar.
Die zentrale Rolle, die diese Führung im Ausland spielt, und ihre Bemühungen, Israel in einen Mehrfrontenkrieg zu ziehen, machen es erforderlich, dass Israel systematisch gegen sie vorgeht, bis alle ihre Komponenten neutralisiert sind – insbesondere nach dem Angriff vom 7. Oktober und nach den klaren Worten des Hamas-Führers Khaled Mashal über die Verpflichtung seiner Gruppe, Israel zu zerstören.
Sie ins Visier zu nehmen würde deutlich machen, dass es einen Preis für ihre Ablehnung eines Geiselabkommens gibt. Es würde dazu beitragen, die Kontroll- und Koordinierungsmöglichkeiten der Hamas zu stören und ihre Bemühungen um eine Wiederherstellung ihrer Fähigkeiten zu erschweren. Ohne einen effektiven Führungsapparat im Ausland würde die Hamas ihren Status als Bewegung mit regionalem Einfluss verlieren; selbst, wenn sie als lokale Organisation weiterbesteht. Dies ist ein gemeinsames Interesse Israels und seiner Nachbarn und ein Ziel, das dem amerikanischen Wunsch nach einer neuen regionalen Ordnung entgegenkommt.
Meir Ben Shabbat ist Leiter des Misgav Institute for National Security and Zionist Strategy in Jerusalem. Von 2017 bis 2021 war er Israels Nationaler Sicherheitsberater und Leiter des Nationalen Sicherheitsrats. Davor war er fünfundzwanzig Jahre lang in leitenden Positionen bei der israelischen Sicherheitsbehörde (Shabak) tätig. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)