Wegen drastischer Lohnkürzungen gingen in der letzten Woche hunderte kurdische Demonstranten auf die Straße, um für bessere Lebensbedingungen zu demonstrieren.
Salam Omer
Hunderte kurdische Demonstranten gingen in der vergangenen Woche in der irakischen Stadt Sulaimaniyah und den umliegenden Städten auf die Straße, um ihren Monatslohn und bessere Lebensbedingungen in der nordkurdischen Region des Landes zu fordern. „Wir kämpfen für unsere Rechte“, lautet die Botschaft, die die wütenden Demonstranten den Behörden überbringen wollten, die damit auch dagegen aufbegehrten, dass die Regierung sie als „Saboteure und Plünderer“ bezeichnet.
Acht Menschen wurden im Rahmend er Proteste bisher getötet; Dutzende von Gebäuden – sowohl der Regierung als auch Büros politischer Parteien – wurden von wütenden Demonstranten niedergebrannt, die gegen schlechte Lebensbedingungen und verspätete Monatsgehälter protestierten. Saman Nadir, Leiter des Notfallzentrums in Sulaimaniyah, sagte am Donnerstag, dass sechs Demonstranten und zwei Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet und 65 Demonstranten verletzt wurden, von denen 45 ins Krankenhaus eingeliefert wurden.
Die Proteste begannen am 2. Dezember in der nordostirakischen Stadt Sulaimaniyah und weiteten sich in den darauffolgenden Tagen auf andere Orte aus. Die Gründe für die Unzufriedenheit sind Versäumnisse der kurdischen Regionalregierung (KRG), die Gehälter der Staatsbediensteten zu zahlen, schlechte Lebensbedingungen, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und unzureichende Basisdienstleistungen. Bis zu 1,25 Millionen Menschen sind bei der Regionalregierung Kurdistans (KRG) beschäftigt, die in den letzten fünf Monaten dieses Jahres die Gehälter um durchschnittlich 19 % gekürzt hat.
Die ersten Demonstranten waren Lehrer und Regierungsangestellte, aber schon bald übernahm die Jugend die Führung. Der 23jährige Gelegenheitsarbeiter Sarmat Ismail, 23, der von Anfang an den Demonstrationen in seiner Heimatstadt Kalar, 140 km südöstlich von Sulaimaniyah, teilnahm, sagt: „Ich habe alle meine Bemühungen darauf verwendet, die Proteste gegen die Regierung zu unterstützen. Ich habe auch meinen Facebook-Account als Plattform genutzt, um meine Mitprotestierenden zu unterstützen. Wir brauchen Brot und Wasser; wir kämpfen für unsere Rechte und die Meinungsfreiheit. Wir brauchen ein Leben ohne Unsicherheit und Gewalt.“
„Saboteure und Plünderer“
Der Premierminister der KRG, Masrour Barzani, erklärte am Mittwoch in einer Pressekonferenz, dass „wir alles tun werden, um angemessene Lösungen für die Probleme der Region Irakisch-Kurdistan zu finden.“ Zwischenzeitlich, so führte er aus, hätten sich gewisse Personen, die er als „Saboteure und Plünderer“ bezeichnete, in die Proteste eingeschlichen, die andere Absichten haben, und er fügte hinzu, dass die Proteste ein Komplott seien, um die kurdische Regionalregierung zu zerstören.
Als Antwort auf diese Anschuldigungen des kurdischen Ministerpräsidenten erwiderte Ismail: „Nicht ein Gebäude ist als öffentliches Eigentum übriggeblieben; alle sind jetzt im Besitz der Unterdrücker [womit er sich auf die kurdischen Politiker bezieht].“ „Ich setze mich für die Rechte der Angestellten und Lehrer ein; ich möchte nicht, dass meine Brüder und Schwestern unter Unterdrückung leben“, sagte er.
In den vergangenen Jahren haben sich die KRG und die irakische Bundesregierung einen Schlagabtausch über Anteile bei der Verteilung von Öl und Gas geliefert. Der dramatische Verfall des Ölpreises und die Covid-19-Pandemie haben die wirtschaftliche Situation im Land weiter verschlechtert. Die irakische Bundesregierung und die KRG haben mehrere Gesprächsrunden abgehalten, um über eine Lösung des Ölstreits zu verhandeln, wobei sich die Delegationen während der letzten Monate gegenseitig in Erbil und Bagdad besucht haben, aber noch zu keiner Einigung gekommen sind.
Zuvor hatte der irakische Präsident Barham Salih in einer Erklärung gesagt, dass friedliche Proteste ein Recht seien. Er forderte schnelle Schritte zur Transferierung der öffentlichen Einnahmen in Dienstleistungen zugunsten des Volkes und betonte, dass ein umfassendes Abkommen zwischen der KRG und der Bundesregierung von größter Bedeutung sei. Salih fügte hinzu, dass Gewalt keine Lösung sei und bat um den Schutz der Demonstranten und darum, dass die Medien ihre Arbeit frei ausüben können.
Einschränkung der Medien- und Demonstrationsfreiheit
Zugleich kam es zu Übergriffen auf Journalisten und Medienunternehmen, die über die Proteste Bericht erstatten wollten. Das KRG-Ministerium für Jugend und Bildung ordnete die Schließung des Fernsehsenders NRT an, da er „durch sein unverantwortliches Verhalten gegen die speziellen Vorschriften für Audio- und visuelle Medien verstoßen hat.“ Auch der lokale TV-Sender der Islamischen Gruppe Kurdistans, einer Oppositionspartei, erklärte, dass die Berichterstattung sein Kanals Payam absichtlich gestört wurde, während er über die Proteste in der Region berichtete.
Gleichzeitig haben die kurdischen Behörden während der Proteste am Wochenende das Internet absichtlich verlangsamt und abgeschaltet, um die Proteste einzudämmen und die jungen Demonstranten daran zu hindern, sich zu koordinieren und Inhalte in den Sozialen Medien zu veröffentlichen. Das irakische Hochkommissariat für Menschenrechte sagte in einer Erklärung am Mittwoch, dass „Regierungs- und Sicherheitsbehörden soziale Medienplattformen blockiert haben, darunter Facebook, Viber, Instagram und Snapchat.“
Das Sicherheitskomitee der Region sagte in einer Erklärung am Mittwochabend, dass „nicht genehmigte Proteste nicht mehr erlaubt sind“ und fügte hinzu: „Die Sicherheitskräfte sind bereit, sie zu verhindern und werden dies im Rahmen des Gesetzes auch durchführen“
Währenddessen reiste eine hochrangige Delegation der KRG in die Hauptstadt Bagdad, um die Gespräche über eine einvernehmliche Regelung wieder aufzunehmen, gemäß der ein Teil der Gehälter der nördlichen Region von Bagdad überwiesen werden kann. Ob solch eine Einigung erzielt werden kann, ist unklar: Die Bundesregierung wirft den kurdischen Beamten vor, sich nicht an die Vereinbarungen der letzten Jahre zur Beilegung der Streitigkeiten gehalten zu haben.
Salam Omer ist Direktor von Kirkuk NOW, einem viersprachigen Onlinemedium, das über die Lage in den sogeannten umstrittenen Gebieten im Nordirak berichtet.