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Saudi-Arabiens gefährliche Illusion

Im Rahmen der »Vision 2030« präsentierte Saudi-Arabien einen umfassenden Wirtschafts- und Sozialplan
Im Rahmen der »Vision 2030« präsentierte Saudi-Arabien einen umfassenden Wirtschafts- und Sozialplan (Imago Images / Pond5 Images)

Trotz seiner diplomatischen Charmeoffensive setzt Saudi-Arabien weiterhin eine strenge Auslegung der Scharia durch, unterdrückt religiöse Minderheiten und finanziert weltweit radikale Ideologien.

Amine Ayoub

In den letzten Jahren hat Saudi-Arabien von sich selbst ein Bild des Wandels propagiert: die Entwicklung vom Paria-Staat zu einem respektierten globalen Führer. Unter Kronprinz Mohammed bin Salman hat das Königreich eine Fassade der Reform, Modernität und des diplomatischen Engagements errichtet, und seine neu entdeckte Rolle als Vermittler in globalen Konflikten wie dem Russland-Ukraine-Krieg wurde als Zeichen der diplomatischen Wiedergeburt des Königreichs angepriesen.

Doch hinter dieser sorgfältig konstruierten Illusion verbirgt sich eine beunruhigende Realität: Saudi-Arabiens Engagement auf der Weltbühne dient nicht der Förderung echter Reformen oder des Friedens, sondern der Durchsetzung seiner autoritären Agenda, der Ausnutzung seines geopolitischen Einflusses und der Verschleierung seiner anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und extremistischen Ideologien.

Oberflächliche Reformen

Trotz der geschickten Medienkampagnen, die den angeblichen Wandel des Landes propagieren, sind die Kernpraktiken Saudi-Arabiens nach wie vor zutiefst autoritär und im Islamismus verwurzelt. Frauen dürfen zwar Auto fahren, unterliegen aber immer noch strengen männlichen Vormundschaftsgesetzen, die ihre Autonomie einschränken.

Obwohl bin Salman die »Vision 2030« als zukunftsweisenden Wirtschafts- und Sozialplan präsentiert hat, sind diese sogenannten Reformen weitgehend oberflächlich und zielen eher auf die Sicherheit des Machterhalts der Monarchie ab als auf die Stärkung der saudischen Bürger. Die Ermordung des Washington-Post-Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 ist nach wie vor eine deutliche Mahnung an die brutalen Methoden des Regimes, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Trotz seiner aggressiven diplomatischen Charmeoffensive setzt Saudi-Arabien weiterhin eine strenge Auslegung des Scharia-Rechts durch, unterdrückt religiöse Minderheiten und Andersdenkende und finanziert radikale Ideologien auf der ganzen Welt. Seine »Reform« ist wenig mehr als eine Ablenkung.

Saudi-Arabiens jüngster Vorstoß in die globale Diplomatie wurde als mutiger Schritt auf dem Weg zur Führungsrolle bei den globalen Friedensbemühungen dargestellt. Saudi-Arabien, ein wichtiger Akteur in der OPEC und eine einflussreiche Ölmacht, hat seine wirtschaftliche Macht und strategische Position genutzt, um den Dialog zwischen Russland und der Ukraine zu erleichtern.

Oberflächlich betrachtet mag dieser Schritt wie ein diplomatischer Durchbruch erscheinen. Schließlich ist Saudi-Arabien nicht direkt in den Konflikt verwickelt, und sein »neutraler« Status soll es zu einem idealen Vermittler machen. Doch diese Neutralität ist Teil eines größeren strategischen Spiels: Bei Riads Versuch, sich als neutrale Partei im Russland-Ukraine-Konflikt zu positionieren, geht es nicht um den echten Wunsch nach Frieden, sondern um einen kalkulierten Versuch, die eigenen geopolitischen Ambitionen voranzutreiben und gleichzeitig die Beziehungen zu Russland und dem Westen aufrechtzuerhalten.

Saudi-Arabien arbeitet seit Langem eng mit Russland innerhalb der OPEC+ zusammen, einer Allianz, die es beiden Ländern ermöglicht, die weltweite Ölproduktion und -preise zu steuern. Diese Beziehung verleiht dem Königreich einen erheblichen Einfluss auf den globalen Energiemarkt, bedeutet aber auch, dass Saudi-Arabien es sich nicht leisten kann, Russland zu verärgern. Gleichzeitig unterhält das Königreich enge Beziehungen zu westlichen Mächten, insbesondere zu den Vereinigten Staaten, die zu verlieren es sich ebenfalls nicht leisten kann. So bewegt sich das Land auf einem schmalen Grat zwischen diesen beiden Mächten und spielt die Rolle des Vermittlers, während es sorgfältig seine eigenen Interessen abwägt.

Saudi-Arabiens Anspruch auf Neutralität ist in vielerlei Hinsicht eine bequeme Tarnung. Seine Handlungen spiegeln eine umfassendere geopolitische Strategie wider, die darauf abzielt, seinen Einfluss sowohl im Osten als auch im Westen zu wahren. Die Beziehungen zu Russland basieren auf wirtschaftlichen Verbindungen, insbesondere im Energiesektor, und seine Entscheidung, im Russland-Ukraine-Konflikt zu vermitteln, sollte als eine Erweiterung dieser Beziehungen gesehen werden. Es geht nicht um Frieden – es geht um Macht.

Während der Westen sich darauf konzentriert hat, Sanktionen zu verhängen und die Beziehungen zu Russland wegen dessen Invasion in der Ukraine abzubrechen, hat Saudi-Arabien einen differenzierteren Ansatz gewählt und zu Dialog und Deeskalation aufgerufen, ohne Russlands Vorgehen offen zu verurteilen. Diese Strategie ermöglicht es Saudi-Arabien, seine vorteilhafte Position auf dem globalen Energiemarkt zu behaupten und sicherzustellen, dass seine Ölexporte sowohl für Russland als auch für den Westen von entscheidender Bedeutung bleiben.

Kalkulierter Vermittler

Über den Russland-Ukraine-Konflikt hinaus ist Saudi-Arabien zunehmend in die Vermittlung in Konflikten im Nahen Osten und darüber hinaus involviert. Das Königreich hat sich als regionaler Machtfaktor positioniert und vermittelt bei Verhandlungen im Jemen, in Syrien und zwischen rivalisierenden Fraktionen in der Region. Diese neu entdeckte diplomatische Präsenz ist ein direktes Ergebnis der Bemühungen von Mohammed bin Salman, das Image des Königreichs zu modernisieren und es als eine Kraft für Frieden und Stabilität im Nahen Osten darzustellen.

Die Geschichte der Interventionen und Manipulationen Saudi-Arabiens kann jedoch nicht ignoriert werden. Die Beteiligung des Landes am Krieg im Jemen, der zu großem Leid unter der Zivilbevölkerung geführt hat, zeichnet ein ganz anderes Bild von der Rolle Riads in der globalen Diplomatie. Die Handlungen Saudi-Arabiens im Jemen und die Unterstützung islamistischer Bewegungen weltweit offenbaren die wahre Natur seiner Außenpolitik – eine, die darauf abzielt, die regionale Vorherrschaft um jeden Preis aufrechtzuerhalten.

Bei Saudi-Arabiens Bemühungen, in globalen Konflikten zu vermitteln, geht es oft weniger darum, friedliche Lösungen zu finden, als vielmehr darum, seine Macht zu nutzen, um die Weltordnung zu seinen Gunsten umzugestalten. Das Königreich unterstützt seit Langem radikal-islamische Bewegungen und spielt weiterhin eine destabilisierende Rolle in der Region, indem es Gruppen finanziert, die sich seiner extremistischen Auslegung des Islams anschließen.

Die zunehmende diplomatische Reichweite Saudi-Arabiens hat im Westen für Stirnrunzeln gesorgt, insbesondere, da sich die Beziehungen des Königreichs zu Russland und China vertiefen. Die Zurückhaltung des Westens, eine klare Haltung gegen die Menschenrechtsverletzungen Saudi-Arabiens und seine Unterstützung für den radikalen Islamismus einzunehmen, hat es dem Königreich ermöglicht, seinen Einfluss ohne nennenswerte Konsequenzen auszuweiten. Die strategische Abhängigkeit des Westens von saudischem Öl, sein wirtschaftlicher Einfluss und seine Bemühungen im Bereich der Terrorismusbekämpfung haben dazu geführt, dass der Westen zögert, das Königreich zu hart zu kritisieren, und zwar auch dann, wenn Saudi-Arabien weiterhin grundlegende Menschenrechte verletzt und die Werte der Demokratie untergräbt.

Die sogenannte Wandlung Saudi-Arabiens vom Paria zum Diplomaten ist eine gefährliche Illusion; ein sorgfältig konstruiertes diplomatisches Trugbild, das die Welt von den wahren Absichten des Königreichs ablenken soll. Die diplomatischen Bemühungen Saudi-Arabiens, einschließlich seiner Rolle als Vermittler in Konflikten wie dem Russland-Ukraine-Krieg, sind nicht von einem echten Wunsch nach Frieden motiviert, sondern von dem strategischen Kalkül, um jeden Preis an Macht und Einfluss festzuhalten.

Amine Ayoub, Stipendiat des Middle East Forum, ist ein in Marokko ansässiger Politikanalyst und Autor. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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