Zwei junge Frauen sind von Saudi-Arabien nach Deutschland geflüchtet. Im Königreich war ihr Leben die Hölle.
Shammi Haque, taz
An einem Sommertag packen zwei junge Frauen in Dschidda, einer Millionenstadt an der Westküste Saudi-Arabiens, heimlich ihre Koffer. Khulud und Maha A. sind Schwestern, damals 23 und 17 Jahre alt. Ihr Reiseziel: die Freiheit. Ihre Chance, dieses Ziel zu erreichen: 50 zu 50.
‚Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie wir die Flucht ins Ausland geschafft haben‘, sagt Khulud, die Ältere von beiden. ‚Sonst würden wir jetzt nicht mehr leben oder wären im Gefängnis.‘ Im März 2019 landen sie in Frankfurt, wo sie Asyl beantragen. Doch selbst in Deutschland sind sie vor ihrer Familie nicht sicher. Diese reist ihnen nach, schaltet Anwälte ein. Es heißt, auch diesen Kampf zu gewinnen. Sie gewinnen ihn. (…)
Für Maha und Khulud fängt jetzt ein neues Leben an. ‚Wir sind wie Sklavinnen aufgewachsen‘, sagt Khulud. Meist übernimmt sie das Reden. Khulud und Maha wachsen in einer Großfamilie auf, sie haben sechs Brüder und eine ältere Schwester. ‚Bis wir sechs Jahre alt waren, haben wir nicht gemerkt, dass wir ‚anders‘ behandelt werden. Wir durften spielen, nach draußen gehen, laut sein‘, erinnert sich Khulud. Das ändert sich, und als die Mädchen ihren Vater fragen, warum, antwortet er nur: ‚Folgt dem Beispiel eurer Mutter.‘ (…)
Bis sie ihre Periode bekommen, erleben sie ein Leben voller sexueller Misshandlungen durch die Brüder und fast täglicher körperlicher Gewalt durch die ganze Familie. Khulud zeigt ihre linke Hand mit einer Narbe, wo sie zweimal operiert worden ist. Der Vater hatte ihr die Hand gebrochen, weil Khulud ihrer Pflicht zu kochen nicht nachgekommen war.“
‚Saudi-Arabien hat keine Gesetze, die Frauen angemessenen Schutz gegen häuslichen Missbrauch und andere geschlechtsspezifische Gewalt bieten‘, sagt Josh Cooper, stellvertretender Direktor bei ALQST, einer in London ansässigen NGO, die sich um Menschenrechte in Saudi-Arabien kümmert. Frauen stehen lebenslang unter der Vormundschaft ihres Vaters, Bruders oder Onkels. ‚Wenn man Saudi-Arabien wirklich frauenfreundlich machen will‘, sagt Cooper, „‚muss es das männliche Vormundschaftssystem vollständig abschaffen.‘“