Saudi-Arabien: Ein Arabischer Frühling von oben

Saudi-Arabien: Ein Arabischer Frühling von oben
Mohammed bin Salman (By Adrian Cadiz, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=49769849)

„Ich hätte nicht geglaubt, dass ich diesen Satz je schreiben würde: Die umfangreichsten Reformen im Nahen Osten finden zurzeit in Saudi-Arabien statt. Nein, Sie haben sich nicht verhört. Ich bin zwar im Winter hier in Saudi-Arabien angekommen, doch findet hier eine saudische Form des Arabischen Frühlings statt. Im Gegensatz zum Arabischen Frühling in den übrigen Ländern, wo er von der Basis angeschoben wurde und (außer in Tunesien) kläglich scheiterte, wird dieser Arabische Frühling vom 32jährigen Kronprinzen Mohammed bin Salman vorangetrieben. Sollte ihm Erfolg beschieden sein, wird er nicht nur Saudi-Arabien, sondern den Charakter und Tenor des Islam weltweit verändern. Nur ein Narr würde den Erfolg dieses Projekts vorhersagen wollen. Andererseits müsste man aber auch ein Narr sein, ihm den Erfolg nicht zu wünschen. (…)

Mohammed bin Salman ist Anwalt von Beruf und durch die Bildungs- und Wohlfahrtsstiftung seiner Familie aufgestiegen. Nun ist er entschlossen, den saudischen Islam wieder der Mitte zuzuführen. Er hat nicht nur die Befugnisse der einst gefürchteten saudischen Religionspolizei eingeschränkt, Frauen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie nicht jeden Zentimeter ihrer Haut bedecken, sondern Frauen auch das Autofahren erlaubt. Im Gegensatz zu saudischen Führungspersönlichkeiten vor ihm hat er sich in ideologischen Fragen mit den Hardlinern angelegt. Eine in den USA ausgebildete 28jährige saudische Frau sagte mir, Mohammed bin Salman ‚spricht ein andere Sprache. Er sagt, »Wir werden dem Extremismus ein Ende machen«. Er ergeht sich nicht in Euphemismen. Das finde ich ermutigend, und es legt nahe, das die Veränderung ernst gemeint ist.’ (…)

[E]iner der Minister Mohammed bin Salmans holte sein Handy heraus und zeigte mir Bilder und YouTube-Videos, die Saudi-Arabien in den 1950er Jahren zeigten: Frauen in Röcken und ohne Kopfbedeckungen, die mit Männern zusammen spazieren gehen. Auch Konzerte und Kinos waren darauf zu sehen. Es war noch immer ein traditionelles und sittsames Land, doch war das Vergnügen noch nicht verboten worden. Dies geschah erst nach 1979. Wenn dieser Virus des antipluralistischen und frauenfeindlichen Islam, das Saudi-Arabien seit 1979 exportiert hat, unschädlich gemacht werden könnte, würde dies zu einer Mäßigung in der muslimischen Welt führen und hier im Land, wo 65 Prozent der Bevölkerung jünger als dreißig sind, gewiss begrüßt. (…) Saudi-Arabien hat noch einen sehr langen Weg zurückzulegen, bis es sich mit Blick auf die Redefreiheit und Frauenrechte westlichen Standards annähert. Als jemand, der seit fast dreißig Jahren herkommt, finde ich es aber umwerfend, dass man in Riad jetzt Konzerte mit westlicher klassischer Musik besuchen kann. (…)

Saudi-Arabien: Ein Arabischer Frühling von oben
Thomas L. Friedman (By Charles Haynes, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1370256)

Mohammed bin Salman hat Präsident Trump als ‚richtigen Mann zum richtigen Zeitpunkt’ gelobt und scheint sich davon überzeugt zu haben, dass die Saudis und ihre arabischen Verbündeten mit Unterstützung der Trump-Administration schrittweise eine Koalition aufbauen können, die sich dem Iran entgegenstellen kann. Ich bin da skeptisch. Das Chaos und die Rivalitäten in der sunnitisch-arabischen Welt habe bislang die Bildung einer einheitlichen Front verhindert, weswegen der Iran inzwischen vier arabische Hauptstädte indirekt kontrolliert: Damaskus, Sana’a, Bagdad und Beirut. Dieses Expansionstreben des Iran ist ein Grund für die vernichtende Kritik Mohammed bin Salmans am religiösen Oberhaupt des Iran Ayatollah Ali Khamenei. Er sei ‚der neue Hitler des Nahen Ostens’, erklärte er. ‚Wir haben von Europa gelernt, dass Appeasement nicht funktioniert. Wir wollen nicht, dass der neue Hitler im Iran das, was sich in Europa zutrug, im Nahen Osten wiederholt.’ Entscheidend wird jedoch sein, wie Saudi-Arabien im Innern vorgeht, um seine Wirtschaft und Widerstandskraft zu stärken.“ (Thomas L. Friedman: „Saudi Arabia’s Arab Spring, at Last“)

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