Saeb Erekat: Was die medialen Nachrufe ausblenden

Begräbnis des früheren palästinensischen Chefunterhändlers Saeb Erekat
Begräbnis des früheren palästinensischen Chefunterhändlers Saeb Erekat (© Imago Images / Xinhua)

Nach dem Tod von Saeb Erekat zeichnen deutschsprachige Medien fast durchweg ein ungetrübt positives Bild vom früheren palästinensischen Chefunterhändler. Versöhnungsbereit, friedenswillig und moderat sei er gewesen, ist allenthalben zu lesen. Ausgeblendet werden dabei Tatsachen, die so gar nicht dazu passen wollen.

Dass Nachrufe häufig dem lateinischen Leitsatz „De mortuis nil nisi bene“ folgen und über die Verstorbenen tatsächlich nur Gutes enthalten, ist zweifellos pietätvoll und freundlich. Man soll die Toten positiv in Erinnerung behalten, an ihre Stärken und liebenswerten Eigenschaften zurückdenken, sich erforderlichenfalls versöhnlich zeigen.

Manche Würdigung gerät dabei allerdings arg schönfärberisch, vor allem, wenn es um Politiker geht. So auch vonseiten deutschsprachiger Medien im Falle von Saeb Erekat, jenem als palästinensischer Chefunterhändler zu Prominenz gelangten PLO-Funktionär, der nun mit 65 Jahren in einem israelischen Krankenhaus an Covid-19 gestorben ist.

Für die Tagesschau etwa zeichnet Benjamin Hammer das Bild eines Mannes, der sich voll und ganz dem Frieden verschrieben habe. „Erekat war ein Vertreter jener Generation von Palästinensern, die Hoffnung machten“, heißt es dort, „von zwei Staaten sprachen, die Seite an Seite nebeneinander existieren“. Ein antiisraelischer Hetzer sei er nicht gewesen, auch wenn er „in den letzten Jahren manchmal sehr energisch“ geworden sei und „beinahe Wutausbrüche“ gehabt habe.

In der FAZ nennt Jochen Stahnke den Verstorbenen „die Stimme des moderaten palästinensischen Lagers“, die bis zuletzt das Ziel „Seite an Seite und in Frieden mit Israel“ bekräftigt und verfolgt habe.

Voll und ganz dem Frieden verschrieben?

Alexandra Föderl-Schmid verfällt in der Süddeutschen Zeitung sogar vorübergehend in jenen Reportagestil, der in einem Nachruf deplatziert wirkt, zumal er eine persönliche Nähe journalistisch unangemessen überbetont: „Sichtlich erschöpft ließ er [Saeb Erekat, d. Verf.] sich dann auf einen der Sitze des Minibusses fallen, sein ansonsten sonnengegerbtes Gesicht war plötzlich aschfahl. Der wortgewaltige Politiker und Diplomat, der seit Jahrzehnten bei allen Verhandlungen im Nahen Osten für die Anliegen der Palästinenser kämpfte und den Titel Chefunterhändler trug, wirkte müde und angeschlagen.“

Was und wer aber hatte den Mann so ermattet und das Mitleid der Korrespondentin hervorgerufen? Genau: die Israelis, vor allem die Siedler – und eine Lungenkrankheit, wie Erekat „in diesem Moment der Schwäche“ erzählt habe.

Als „Stimme der Palästinenser in der Welt“ bezeichnet ihn Susanne Newrkla im Ö1-Abendjournal. Erekat habe sich „sein Leben lang für eine Verhandlungslösung zwischen Israel und den Palästinensern“ eingesetzt. In der Frankfurter Rundschau schreibt Inge Günther anerkennend: „Für einen Chefdiplomaten konnte er ziemlich bissig werden“; in der taz lobt ihn Susanne Knaul als einen der „schlagfertigsten Kritiker der israelischen Politik“. Erekat sei „unermüdlich“ gewesen, „wohl wissend, dass seine Aussichten, ein Friedensabkommen zu erreichen, miserabel waren“.

Erekat und die Lüge vom „Massaker von Jenin“

Dass es an ihm auch viel Kritik gab, ist in den Nachrufen höchstens eine Randnotiz, und wenn sie denn Erwähnung findet, wird meist auf die Selbstbereicherung und Korruption abgestellt, nicht aber auf dezidiert politische Dinge. Deshalb sei an dieser Stelle beispielsweise daran erinnert, dass Saeb Erekat zum Scheitern der Verhandlungen von Camp David im Jahr 2000, das dem Beharren der palästinensischen Seite unter Jassir Arafat auf Maximalforderungen geschuldet war und in der zweiten „Intifada“ mit ihrem Selbstmordterror mündete, als Unterhändler seinen Teil beitrug.

Es sei ferner daran erinnert, dass Erekat es war, der im April 2002 im amerikanischen Nachrichtensender CNN das Märchen in die Welt setzte, die israelische Armee habe im Flüchtlingslager Jenin über 500 Palästinenser umgebracht und damit ein Massaker angerichtet.

Selbst die gegenüber Israel chronisch voreingenommenen Vereinten Nationen stellten später fest, dass die Zahl der dort getöteten Palästinenser lediglich bei einem Zehntel davon lag und nur etwa jeder Zweite davon ein Zivilist war. Von einem „Massaker“ wollte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan deshalb nicht sprechen. Zudem verwies die israelische Armee darauf, dass vom Lager in Jenin aus 28 Selbstmordattentate geplant und durchgeführt worden seien und es zudem als Basis für terroristische Organisationen wie die Hamas und den Islamischen Jihad gedient habe.

Dämonisierung Israels und antisemitische Legenden

Erinnert sei auch daran, dass Saeb Erekat im Januar 2014 behauptete, die Israelis hätten den PLO-Führer Jassir Arafat, der im November 2004 verstorben war, ermordet und planten das Gleiche mit Arafats Nachfolger Mahmud Abbas. Israelische Militäroperationen, etwa jene gegen die Hamas im Gazastreifen, waren für ihn grundsätzlich „Massaker“, „Kriegsverbrechen“ oder gar ein „Genozid“.

Überdies nannte er Israel Ende Juni 2017 auf einer Veranstaltung der Vereinten Nationen einen „Apartheidstaat“. Zu diesem Zeitpunkt kümmerten sich israelische Ärzte bereits seit einem Jahr um ihn, um sein Leben zu retten, das aufgrund einer schweren Lungenfibrose bereits damals in Gefahr war.

Als Erekats Neffe Ahmad Mustafa im Juni dieses Jahres an einem Checkpoint mit seinem Auto unversehens beschleunigte, um die Grenzschützer zu überfahren, und bei diesem Attentatsversuch schließlich erschossen wurde, warf Saeb Erekat der Grenzpolizei vor, seinen Verwandten „exekutiert“ und „kaltblütig ermordet“ zu haben. Darüber hinaus verbreitete er die Behauptung, an Kontrollpunkten infizierten israelische Soldaten absichtlich Palästinenser mit dem Corona-Virus; andere Israelis, so sagte er, spuckten zu diesem Zweck auf palästinensische Autotürgriffe und Windschutzscheiben. Eine Verschwörungslegende, die an die alte antisemitische Lüge von den Juden als Brunnenvergiftern anknüpft.

Von Versöhnung und Dialog ist bei Abbas und der PLO keine Rede

All dies widerspricht dem Bild vom Friedenskämpfer Saeb Erekat, der sich stets für Dialog, zwei Staaten und eine gute Nachbarschaft eingesetzt haben soll. Wenig überraschend wird er in den Nachrufen der PLO und von Mahmud Abbas dann auch gar nicht so porträtiert. Dort nennt man ihn vielmehr einen „erbitterten Kämpfer“, „Märtyrer Palästinas“ und „patriotischen Führer“; von Versöhnung, Ausgleich und Diplomatie ist keine Rede.

Das mag zwar auch nicht unbedingt eine differenzierte und facettenreiche Würdigung von Erekats Wirken sein, kommt der Wahrheit aber doch – man möchte sagen: bedauerlicherweise – näher als die Projektionen vieler Medien.

Die frühere israelische Außenministerin Tzipi Livni schrieb über Saeb Erekat nach dessen Tod: „Wir haben zwei verschiedene Seiten vertreten, und es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, aber das gemeinsame Ziel war: zu versuchen, eine Einigung zu erzielen, die den Konflikt zwischen unseren Völkern beenden würde.“ Hier wird, anders als in den deutschsprachigen medialen Nachrufen, zumindest der instrumentelle Charakter der Verhandlungen deutlich, und es ist nicht vom Frieden die Rede, sondern bloß von einem Ende des Konflikts.

In Israel weiß nicht nur Livni sehr gut, dass Saeb Erekat nicht die Taube war, für die er im Westen gehalten wurde. Und dass auch auf ihn im Zweifelsfall eben kein Verlass gewesen ist.

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