Russland und Iran steuern auf Niederlage in Ukraine zu

Russische und iranische Delegierte bei einem Treffen der Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny
Russische und iranische Delegierte bei einem Treffen der Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Grosny (© Imago Images / SNA)

Die Gunst der Stunde sollte genutzt werden, um dem russisch-iranischen Bündnis den Schlag zu versetzen, den es verdient.

Ben Cohen

Diejenigen, die sich nach der Blütezeit des Neokonservatismus sehnen, sollten wissen, dass der ehemalige US-Präsident George W. Bush am kommenden Mittwoch eine Videodiskussion mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj führen wird. Bush, der in seiner berühmten Rede zur Lage der Nation im Jahr 2002 Russlands treuen Verbündeten Iran neben Nordkorea und dem Irak als »Achse des Bösen« bezeichnet hat, hat kürzlich erklärt, er betrachte Selenskyj als einen Winston Churchill unserer Zeit. In einer Erklärung des George-W.-Bush-Instituts, in der die Veranstaltung angekündigt wird, werden die USA aufgefordert, »der Ukraine bei der Selbstverteidigung zu helfen, sei es militärisch oder anderweitig«.

Isolationisten auf der Rechten und Anti-Kriegs-Aktivisten auf der Linken werden diese Veranstaltung zweifellos als eine Übung in der Art jener Kriegstreiberei belächeln, die sie in Afghanistan und im Irak hinter sich gelassen zu haben glaubten. Aber die Bedenken, die in diesen Konflikten geäußert wurden, haben wenig mit der brutalen russischen Invasion in der Ukraine zu tun.

Niemand spricht davon, US- oder NATO-Truppen in einer Kampfsituation vor Ort zu stationieren, und es wird auch nicht über eine internationale Administration diskutiert, die den wachsenden Teil des ukrainischen Territoriums, der von den russischen Besatzern befreit wird, überwachen soll. Die demokratische Regierung in Kiew hat um Waffen gebeten, aber es sind ukrainische Kämpfer, die sie einsetzen werden, und ukrainische Beamte, die den Wiederaufbau nach dem Krieg leiten werden.

Zwar ist der Zeitpunkt des Treffens mit Bush und Selenskyj zufällig, er erweist sich als glücklich gewählt. In der vergangenen Woche erzielten die ukrainischen Streitkräfte ihren bisher wichtigsten Durchbruch, als Russland zu einem demütigenden Rückzug aus der Stadt Cherson im Süden des Landes gezwungen wurde, die es in den ersten Tagen der Invasion erobert hatte.

Monatelang war Cherson Schauplatz der russischen Schreckensherrschaft: Tausende von Einwohnern wurden geschlagen, verhaftet und gefoltert, weil sie gegen den russischen Einmarsch protestiert hatten; Frauen und Mädchen im Alter von zwölf Jahren wurden vergewaltigt und missbraucht, fast zweitausend ukrainische Kinder ihren Familien entrissen und nach Russland verschleppt. Am vergangenen Freitag gingen die geschundenen Bürger von Cherson auf die Straße und wurden von der ukrainischen Nationalflagge und Patrouillen ukrainischer, nicht russischer Truppen begrüßt.

Wichtiger Sieg

Dem erschöpften Lächeln der Menschen in Cherson stand ein nervöser Gesichtsausdruck der russischen Führung gegenüber, die versuchte, ihre Niederlage in Cherson als bloße »Truppenverlegung« darzustellen.

Es stimmt zwar, dass Cherson vorerst eine gefährliche Stadt bleibt, deren Straßen mit Sprengfallen übersät sind und in der sich der Rest der russischen Streitkräfte am gegenüberliegenden Ufer des Dnipro versammelt hat, doch sollte man nicht verkennen, dass Cherson auch einen entscheidenden Sieg bedeutet. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die internationale Gemeinschaft den Ukrainern hilft, auf dem Schwung aufzubauen, der sich aus der Befreiung der Stadt ergeben hat.

Versteht man unter ›Sieg‹ die vollständige Vertreibung der russischen Streitkräfte aus der Ukraine, ist der Triumph in Cherson der bisher beste Beweis dafür, dass ein solches Ergebnis nicht nur möglich ist, sondern auch wünschenswert ist, denn natürlich sind es die Ukrainer, die am meisten unter der illegalen Aggression Russlands gelitten haben – auch wenn wir wir anderen, unabhängig davon, wo wir leben, ebenfalls unter den Auswirkungen des Krieges auf die Lebensmittel- und Energiepreise leiden, durch die sich unsere wirtschaftliche Lage ernsthaft verschlechtert.

Die derzeitige Situation hat zudem gezeigt, wie sehr sich die russische Führung von der internationalen Gemeinschaft entfremdet hat. In der Tat gibt es nur einen Staat, der bereit ist, den russischen Diktator Wladimir Putin bei seinem Versuch der Beseitigung der Ukraine als souveräner Nation, konkret zu unterstützen: den Iran.

Vergangene Woche flog der Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, auf Einladung seines iranischen Amtskollegen, Admiral Ali Schamkhani, nach Teheran. Bei seiner Ankunft gab Patruschew vor den Journalisten eine Tirade über die angebliche Desinformationskampagne der westlichen Medien in Bezug auf die Ukraine von sich, bevor er mit Schamkhani und anderen darüber sprach, wie der Iran die bröckelnde russische Kriegsmaschinerie stützen kann.

In erster Linie geht es dabei um die Lieferung tödlicher Waffen: die Drohnen Shahed-136 und Arash-2, die bereits verheerende Schäden in den ukrainischen Ballungszentren angerichtet haben, sowie möglicherweise Fateh-110- und Zolfighar-Raketen mit einer Reichweite von mehreren hundert Kilometern. Eine solche Ausrüstungsliste ist ein Hinweis darauf, wie Russland diesen Krieg in Zukunft zu führen gedenkt: indem es die zivile Infrastruktur der Ukraine zerstört, um den Exodus weiterer Millionen von Flüchtlingen nach Westen zu provozieren, wenn die bittere Kälte des Winters einsetzt.

Im Krieg ist das Timing alles. Die ukrainischen Streitkräfte haben bereits bewiesen, dass eine Armee, die an das glaubt, wofür sie kämpft, einem größeren, besser ausgerüsteten Feind mit niedriger Moral überlegen ist. Die Bedeutung dieser Tatsache wurde in den wichtigsten internationalen Hauptstädten erkannt, insbesondere in Washington, wo die US-Regierung vergangenen Woche weitere vierhundert Millionen Dollar an Verteidigungshilfen bereitstellte, darunter die von den Ukrainern so effektiv eingesetzten HIMARS-Raketen sowie Humvees, Stinger-Raketen und Munition.

Aufforderung an Israel

Andere Länder, die über ähnliche Maßnahmen nachdenken, sollten dem Beispiel der USA folgen. Dazu gehört auch Israel, das – wie ich im vergangenen Monat dargelegt habe – eine einmalige Gelegenheit erhalten hat, seinen Ruf als führendes Mitglied der Gemeinschaft demokratischer Nationen zu unterstreichen. Darüber hinaus hat Israel auch die Möglichkeit, durch sein Engagement in der Ukraine dem Iran und seinem Ziel, den jüdischen Staat von der Landkarte zu tilgen, eine schwere Niederlage zuzufügen, ähnlich, wie es Putin mit der Ukraine vorhat.

Wie immer wird es diejenigen geben, die mit verschiedenen Argumenten zur Vorsicht mahnen. Eines davon ist die Befürchtung, dass Russland andere Teile der Welt destabilisieren könnte, vor allem den Nahen Osten, wo es eine beachtliche, wenn auch schwindende Militärpräsenz in Syrien unterhält. Die Feststellung, dass Russland der zweitgrößte Erdgas- und der drittgrößte Erdöllieferant der Welt ist und wir daher seine Führer bei Laune halten müssen, ist eine andere. Apokalyptische Warnungen, dass ein verzweifelter Putin sein Atomwaffenarsenal auf westliche Städte richten wird, sind eine weitere.

Letztlich zielen all diese Sichtweisen, die fragwürdige Annahmen als unbestrittene Tatsachen darstellen, darauf ab, die totale Niederlage der Russen abzuwenden und damit Putins Regime in die Lage zu versetzen, sein Überleben als Sieg darzustellen, so wie es die Diktatur Saddam Husseins im Irak nach dem Golfkrieg im Jahr 1990 tat.

Zaudern in einer Zeit, in der wir uns auf weitere Niederlagen der Russen in der Ukraine konzentrieren sollten, hilft nur Putin, der offensichtlich nicht der pragmatische, wohlwollende Autokrat ist, für den ihn zu viele westliche Politiker zwei Jahrzehnte lang hirnlos gehalten haben. Nutzen wir die Gunst der Stunde und versetzen wir dem russisch-iranischen Bündnis den Schlag, den es verdient.

Ben Cohen ist ein in New York City lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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